17. Oktober 2012 | NEWS

Wo Armut schmerzt

Zum Internationalen Tag für die Beseitigung der Armut: Von Dr. Wilfried Vyslozil, Geschäftsführender Vorstand der SOS-Kinderdörfer weltweit.

 


Hunger und Elend: Eine Großmutter mit ihrem Enkelkind im Flüchtlingscamp von Badbado, Somalia - Foto: Jens Honoré
Was ist das eigentlich für ein Tag, der Internationale Tag für die Beseitigung der Armut, der dieses Jahr zum 20. Mal begangen wird? Ist es ein Trauertag darüber, dass die Welt so reich ist wie nie zuvor und trotzdem eine Milliarde Menschen in bitterer Armut lebt? Oder ist es ein Aktionstag, der uns auffordert, endlich mehr gegen diesen skandalösen Zustand zu tun?

 

Im vergangenen Jahr hatte man fast den Eindruck, es sei ein Festtag. Wieder einmal zogen die Vereinten Nationen eine Zwischenbilanz, wie weit man schon gekommen sei auf dem Weg zur Erfüllung der so genannten Millenniumsziele. Als erstes und wichtigstes dieser Ziele soll von 1990 bis 2015 die Armut weltweit halbiert werden. Man sei auf dem besten Weg, freute sich UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon. Voraussichtlich werde der Anteil der Armen nicht nur wie geplant von 46 auf 23 Prozent der Weltbevölkerung halbiert. Man könne das Millenniumsziel sogar übererfüllen und einen Armenanteil von 15 Prozent erreichen.

Armutsbekämpfung: In Afrika hat sich wenig getan

Die Freude darüber währte nicht lang. Die Zahlen lassen sich leicht auseinandernehmen. Die Erfolge bei der Armutsbekämpfung konzentrieren sich vor allem in China und Indien, zwei Länder mit je über einer Milliarde Menschen, die sich auf dem Weg zur Industrialisierung befinden. Im Afrika südlich der Sahara aber hat sich sehr wenig getan und in etlichen Ländern ist die Zahl der Armen sogar noch gestiegen. Kein wirklicher Grund zum Feiern also.

Es hat sich international eingebürgert, Armut in Geld zu messen: Wer am Tag weniger als 1,25 US-Dollar, also rund einen Euro, zur Verfügung hat, der gilt als extrem arm. Angesichts der Spekulation mit Lebensmitteln und in der Folge steigender Preise halte ich diesen Maßstab für unangemessen. Die Definition eines Kollegen aus Nigeria gefällt mir viel besser: Armut, sagt er, sei das, was schmerzt, was weh tut. Armut ist nicht irgendein Parameter, sie ist körperlich spürbar. Wenn Armut schmerzt, dann lässt sie Menschen resignieren und apathisch werden.

 


Dr. Wilfried Vyslozil, Geschäftsführender Vorstand der SOS-Kinderdörfer weltweit
Für Hilfswerke und Entwicklungsorganisationen ist diese schmerzende, bittere Armut ein Problem. Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit nicht nur Dienst am Nächsten, sondern Business. Man muss Erfolge vorweisen und das möglichst schnell. Man muss seine Arbeit rechtfertigen, sei es vor den Spendern oder - bei staatlicher Entwicklungshilfe - vor den Steuerzahlern. Und die Hilfe soll natürlich kein Fass ohne Boden sein. Irgendwann sollen die, denen geholfen wird, auf eigenen Beinen stehen können. Der Helfer soll sich also selbst möglichst schnell überflüssig machen.

 

In den SOS-Kinderdörfern denken wir langfristig

Eben deshalb machen zu viele Entwicklungsorganisationen zu oft einen großen Bogen um das bittere Elend, jene Armut, die schmerzt, und um die Menschen, die in ihrem Leid gar nicht mehr anders können als zu resignieren. Hilfe zur Selbsthilfe ist leichter zu leisten, wenn schon etwas da ist beim Partner - ein Minimum an Einkommen, Bildung, Verlässlichkeit, Organisationstalent und Willen. Nur dann kann man in drei oder vier Jahren Ergebnisse vorweisen.

In den SOS-Kinderdörfern denken wir meist langfristiger, in mindestens einer Kindergeneration von zehn oder zwölf Jahren. Aber auch wir sind unseren Spendern und Paten verpflichtet und wollen Ergebnisse vorweisen. Vor den Toren unserer Kinderdörfer treffen wir mal auf Armut, mal auf entsetzliches Elend. Und dort bemüht sich unsere SOS-Familienhilfe auch um Menschen, die vor Schmerz bereits resigniert haben.

Manchmal dauert es lang, bis sich Erfolge einstellen. Und manchmal ist es nur eine Kleinigkeit, die konkrete Abhilfe schafft. Ich erinnere mich an Jane Obilo, eine vielleicht 60-jährige Frau in einem fürchterlichen Slum in Mombasa in Kenia. Sie zieht alleine 19 Enkelkinder auf und hält sie als Großfamilie zusammen. Sie schafft das mit einem einfachen Kocher, den wir ihr gegeben haben und mit dem sie auf den Straßen Maiskolben zubereitet und verkauft.

Vielleicht sollten wir den internationalen Tag der Armut zum Anlass nehmen, verstärkt dorthin zu schauen, wo die Armut den Menschen weh tut. Für sie müssen wir Wege zu einem besseren Leben finden und dies ganz unabhängig davon, ob und wann sich unsere Hilfe "auszahlt".

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