Frierend und krank: Flüchtlingskinder an der serbischen Grenze

Wenn eine Registrierung wichtiger ist als menschliche Behandlung

SOS-Mitarbeiterin Katharina Ebel ist entlang der Flüchtlingsroute unterwegs. Sie macht sich vor Ort ein Bild von den SOS-Projekten - damit die Hilfe möglichst schnell dort ankommt, wo die Not momentan am größten ist. Hier berichtet sie über die aktuelle dramatische Flüchtlingssituation an der serbisch-mazedonischen Grenze.

Unmenschliche Zustände, unglaubliche Strapazen

"Dieses Video richtet sich an die Menschen, die aktuell glauben, die Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan oder dem Irak würden das alles nur tun, um wie die Made im Speck in Deutschland zu leben. Wir haben diese Menschen auf der Flucht begleitet und Szenen erlebt, die für uns schlicht erschütternd waren. Wir hoffen mit diesem Beitrag Meinungen ändern zu können", so SOS-Mitarbeiterin Katharina Ebel vor Ort an der serbisch-mazedonischen Grenze.

+++ Tausende Flüchtlingskinder in Regen und Schlamm +++

 

 

Die Menschen erreichen nachmittags den Bahnhof Preshevo, sie sind mit ihren Kindern seit den frühen Morgenstunden unterwegs.

Grenzübergang Preševo, Serbien:

Eigentlich hatte ich vor, an dieser Stelle über das Geschäft mit den Flüchtlingen zu schreiben. Wie man die Preise für die Züge in Mazedonien vervielfacht hat, zum Beispiel.

Aber nachdem, was ich gerade gesehen habe, ist das lächerlich.

Tortur beim Registrieren

Wir waren heute an der serbischen Grenze. Hier müssen sich alle, und das meint buchstäblich alle Flüchtlinge registrieren lassen. Klingt erst einmal nicht dramatisch aber nun stellen Sie sich bitte folgendes vor: Sie sind mit ihren Kindern seit dem frühen Morgen unterwegs. Sie warteten 2-3 Stunden an der mazedonisch-griechischen Grenze, um aufgereiht zu werden und in einen stinkenden, aber immerhin warmen Zug mit 800 anderen Menschen gestopft zu werden. Drei Stunden später bei der Ankunft an der serbisch-mazedonischen Grenze, regnet es in Strömen und Sie müssen samt Gepäck und Kindern, von denen Sie mindestens eines tragen, vier Kilometer über Bahngleise laufen.

Nach 3 Stunden mit 800 anderen Menschen eingepfercht im Zug laufen die Flüchtlinge nun im strömenden Regen zum serbischen Grenzübergang Preševo.

Dann endlich erreichen sie Serbien. Gegessen haben sie bis auf Kekse bislang nichts. Doch verglichen mit dem, was sie hier erwartet, war das bislang ein Kinderspiel.

Mittlerweile, seit gut 6 Stunden auf den Beinen, dreckig, kalt und nass, müssen Sie sich nun bei den serbischen Behörden registrieren lassen. Ohne Registrierung ist eine Weiterreise ausgeschlossen. Es regnet nebenbei bemerkt immer noch in Strömen. Ihre Kinder und Sie sind völlig durchgeweicht. Den Kindern klappern vor Kälte die Zähne.

Eng aneinander gedrängt in langen Schlangen

Was Sie dann sehen, raubt Ihnen von einer Sekunde zur anderen ihre letzten Reserven für den Tag. Vor Ihnen stehen Männer, Frauen und Kinder eng aneinander gedrängt in langen Schlangen hinter Absperrgittern teils knöcheltief im Schlamm. Sie warten seit mehreren Stunden. Hinsetzen können sie sich nicht. Schutz vor dem Regen gibt es nicht. Ebenso wenig Getränke oder Essen.

Meine Kollegen von den SOS-Kinderdörfern verteilen Decken, Regencapes, Wasser und Kekse an die Familien in der Schlange.

Wer die Schlange verlässt, sagen sie ihnen, stellt sich am nächsten Tag wieder hinten an. Sie haben keine Wahl, sie müssen mit ihren Kindern genau dort stehen. Alle frieren, die Kinder haben längst eine Erkältung und fangen allein schon vor Erschöpfung an zu weinen oder sind einfach nur noch still.

Es beginnt zu dämmern, der Regen wird stärker und damit fallen auch die Temperaturen auf maximal 12 Grad.

Als wir diese Szenen sehen, sind wir fassungslos. Wie kann eine Registrierung wichtiger sein, als menschliche Behandlung? Mal ganz davon abgesehen, dass sich die Flüchtlinge zuvor schon in Griechenland und Mazedonien registriert haben? Wie kann es sein, dass man die Menschen ohne auch nur den geringsten Schutz vor dem Regen, eingepfercht wie Vieh, stundenlang warten lässt? Kam der Oktober und das damit verbundene schlechte Wetter so überraschend? Schon aneinandergereihte Pavillons würden den Wartenden hier wenigstens ein wenig Schutz vor der Kälte und Nässe bieten. Aber es gibt nichts! Meine Kollegen von den SOS-Kinderdörfern verteilen Decken, Regencapes, Wasser und Kekse an die Familien in der Schlange. Das ist das, was sie tun können. Aber es reicht natürlich nicht aus.

Eine Familie aus Aleppo mit den Kräften am Ende

Mahmud, Beera und ihre zwei Kinder standen seit dem Morgen in der Warteschlang. Jetzt mussten sie abbrechen, weil Mutter und Sohn Zitterkrämpfe bekamen.

Familie Al Mohamad aus Aleppo steht mit 7 kleinen Kindern im Alter von 2-4,5 Jahren vor mir hinter der Absperrung. „Die Kinder sind alle krank, zwei haben Fieber. Keine Ahnung, was wir tun sollen, wenn es hier nicht schnell weitergeht. Wir können doch mit den Kindern nicht hier draußen im Regen auf der Straße übernachten“, sagen sie. Ihre Verzweiflung ist ihnen anzumerken. Sie sind dankbar für Decken und Kekse. Aber lange wird sie das auch nicht warm halten hier im Freien. Ich weiß nicht, was ich ihnen sagen soll. Ich kann ihnen nicht helfen.

Unterdessen regnet es weiter. Plötzlich läuft eine junge Familie auf mich zu. Sie alle weinen. Auch Vater Mahmud. Seit dem Morgen standen sie sich die Beine in den Bauch. Jetzt mussten sie abbrechen. Sowohl Mutter Beera als auch der kleine Sohn, zitterten unkontrolliert. Als sie entschieden haben, von dem Platz aus der Reihe zu weichen, sind sie am Ende.

All unsere Decken, Regenjacken, Kekse und das Wasser haben wir schon an wartende Familien verteilt. Ich ziehe dem zitternden Kind vor mir meine Regenjacke an, gebe der Mutter meine Thermoweste. Sie beruhigen sich ein wenig. Meine Kollegen begleiten sie zu einem Ärzte-Team, reden auf die Beamten an der Registrierung ein, um sie vor zu lassen.

Ich schaue mich um und überall noch mehr Familien, denen es genauso gehen wird wie Beera und Mahmud. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie der Kälte und dem Regen nichts mehr entgegensetzen können. Als mein Kameramann sich zu mir umdreht, hat er Tränen in den Augen. Wie die Menschen hier behandelt werden, ist schwer zu ertragen. Seltsamerweise sehe ich nirgendwo Presse. Deswegen leiten Sie diesen Artikel bitte weiter.

Mehr Berichte von mir können Sie auf meinem Blog auf Stern.de nachlesen.

 

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