Gerettet aus den Fängen der Kinderhändler

Das Schicksal einer Jugendlichen aus Nigeria, die in Italien zur Prostitution gezwungen wurde

Simbi* glaubte ins gelobte Land zu reisen. Doch dort erlebte sie die Hölle. Menschenhändler hatten die Jugendliche aus Nigeria nach Italien gelockt, wo sie zur Prostitution gezwungen wurde. Simbi konnte gerettet werden. Heute ist sie zurück in Nigeria, wo sie im SOS-Kinderdorf eine neue Familie fand.


Als Teenager wurde Simbi zur Prostitution gezwungen. Zum Schutz der Privatsphäre handelt es sich hier um ein Symbolbild von einem anderen SOS-Kind - Foto: Patrick Wittmann

Simbis Leidensgeschichte begann, als sie gerade 14 Jahre alt war. Sie lebte im Süden Nigerias mit ihrer Mutter und ihren neun Geschwistern. Ihr Vater war einige Jahre zuvor gestorben und die Familie war in einer verzweifelten Lage. Damals sprach ein Mann Simbis Mutter an und bot an, das Mädchen nach Europa zu bringen. Dort könne sie eine gut bezahlte Arbeit finden und Geld nach Hause schicken. Die Mutter willigte ein - ohne ihre Tochter vorher zu fragen.

Vor der Abfahrt führten die Menschenhändler Simbi und andere Mädchen zu einem Hexendoktor. Dort mussten sie schwören, nicht wegzulaufen und keinesfalls zur Polizei zu gehen. Sonst drohe ihnen einen Fluch und der Tod. Außerdem müssten ihre Familien die für Arme unerschwinglichen Reisekosten nach Europa zurückzahlen.

"Lauf weg!"

Von Nigerias Hauptstadt Lagos ging es zunächst mit dem Auto in den Senegal. Die Fahrt dauerte neun Tage. "Als wir unterwegs waren, riet mir eines der älteren Mädchen in unserer Gruppe wegzulaufen", erzählt Simbi. "Aber ich hatte Angst und blieb." Im Senegal gab die Bande den Mädchen gefälschte Pässe. "Ich hieß nun Fatum Silla und war Senegalesin", berichtet die Jugendliche.

Vom Senegal flog die Gruppe nach Frankreich. Doch der Mann, der mit den Mädchen reiste, war der Polizei verdächtig. Die Behörden nahmen die Jugendlichen daher nach ihrer Ankunft zunächst in Gewahrsam. Nach zwei Wochen kam eine Frau mit einer gefälschten Geburtsurkunde und behauptete Simbis Mutter zu sein. Die Beamten ließen das Mädchen daher mit ihr gehen. "Ich wagte nicht zu widersprechen", sagt die Jugendliche.

Sklavin der Zuhälter


Kleider für die SOS-Schwestern: Zurück in Nigeria absolviert Simbi einen Schneiderkurs, während sie im SOS-Jugendwohnheim lebt.

Im November 2012 brachten die Menschenhändler Simbi von Frankreich nach Turin. Sie sagten ihr, dass sie ihnen Reisekosten in Höhe von 60.000 Euro schulde und zusätzlich 150.000 Euro monatlich für Kost und Logie – und für den Platz an der Straßenecke, wo sie nachts arbeiten solle. Simbi war entsetzt, aber sie kannte niemand in dem fremden Land, den sie um Hilfe hätte bitten können.

Sie wurde gezwungen als Prostituierte zu arbeiten. Nach sechs Monaten auf dem Straßenstrich hatte sie ihren Zuhältern 7000 Euro gezahlt, ihre angebliche Schuld war sogar noch angewachsen – die Verbrecher hatten sie zu ihrer Sklavin gemacht.

"Eines Nachts nahm ich all meinen Mut zusammen und ging zur Polizei", sagt Simbi. Als die Beamten ihre Geschichte hörten, kam die Jugendliche sofort in ein Schutzprogramm für Minderjährige. Zugleich nahmen die italienischen Behörden Kontakt mit den SOS-Kinderdörfern in Italien auf.

Simbi wollte sich das Leben nehmen

Eine italienische SOS-Mitarbeiterin, die aus Nigeria stammte, nahm Simbi als Pflegetochter bei sich auf. Die Jugendliche war schwer traumatisiert und musste psychologisch betreut werden. Simbi hatte Alpträume, in denen "Madam", ihre Zuhälterin, sie ausfindig machte und sie folterte, um sie wieder auf den Straßenstrich zu schicken.
Nach einem Telefonat mit ihrer Mutter in Nigeria, brach Simbi völlig zusammen und wollte sich das Leben nehmen. "Meine Mutter sagte mir, dass sie mich nicht wieder sehen will." Simbi fühlte sich verraten. Trotzdem wollte sie unbedingt in ihre Heimat zurückkehren.

Rückkehr nach Nigeria

Die italienischen SOS-Mitarbeiter setzten sich mit ihren Kollegen in Nigeria in Verbindung. Nach neun Monaten kehrte Simbi nach Lagos zurück, wo sie in einer Jugendeinrichtung der SOS-Kinderdörfer aufgenommen und weiter psychologisch betreut wurde.

Anfangs kapselte sie sich ab. Doch im Laufe eines Jahres fasste Simbi allmählich wieder Vertrauen und fand neues Selbstbewusstsein. Sie begann einen Schneiderkurs und zeigte dabei großes Geschick. Sie fertige Kleider für sich und ihre SOS-Schwestern im Jugendwohnheim.

Neuer Lebensmut

"Simbi hat große Fortschritte gemacht, aber sie leidet weiter unter ihrem Trauma", sagt SOS-Jugendleiterin Malomo Funke Folrence. "Sie ist voller Wut auf ihre Mutter, sehnt sich aber immer wieder nach ihrer Herkunftsfamilie. Doch sie ist sich auch der Gefahren bewusst, dorthin zurückzukehren. Die Liebe und den Schutz ihrer SOS-Familie hat sie angenommen."

Heute ist Simbi 18 Jahre alt. Sie hat ihre Ausbildung als Schneiderin abgeschlossen und geht wieder zur Schule. Für sie, die im SOS-Jugendwohnheim erst wieder Lesen und Schreiben lernen musste, ging damit ein Traum in Erfüllung: "Ich will etwas lernen und einfach so sein wie andere Mädchen in meinem Alter", sagt Simbi. Ihr Lebensmut ist zurückgekehrt. Simbi kann wieder lächeln.

* Name zum Schutz der Privatsphäre geändert

Von Chijioke Mark Nwakaudu

Project Coordinator SOS Nigeria

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