"Sag Nein! Das ist Unrecht!"

Eine Neunjährige wehrte sich gegen die grausame Tradition der Frauenbeschneidung

Die Genitalverstümmelung von Mädchen und Frauen ist im Sudan weit verbreitet. Die neunjährige Soraya hat sich dagegen gewehrt - mithilfe des Sozialzentrums der SOS-Kinderdörfer in Khartum.

Schon vor Sonnenaufgang ist Soraya hellwach, so aufgeregt ist die Neunjährige. Als der erste Hahn in Ubada kräht, springt sie aus dem Bett, läuft zu ihrer Mutter und fragt: "Mama, wann gehen wir zu der Henna-Frau?"

"Vorher werden wir dich erst einmal baden", antwortet die Mutter. Sie holt einen Eimer Wasser und ein Stück Seife und beginnt, ihre Tochter sorgfältig zu säubern - ein seltenes Vergnügen für Soraya. Nach der Reinigung darf Soraya ihr neues Kleid aus rosa Chiffon anziehen, das ihre Mutter eigens für das große Ereignis gekauft hat. Auch die Haare der Kleinen müssen heute besonders zurecht gemacht werden: Sorgfältig flechtet die Mutter Zopf um Zopf und bindet blaue, pinkfarbene und gelbe Bänder hinein. Dann endlich hält sie ihrer Tochter den Spiegel vor.

Soraya kichert. "Oh, was für schöne Zöpfe!" Ihre Mutter lächelt, drückt das Mädchen an sich und küsst es auf die Stirn. Dann zieht auch sie ihr Festkleid an, die traditionelle Toab, ein weites Gewand.

In vielen Kulturen gehört das Bemalen der Hände mit Henna zur Tradition bei wichtigen Ereignissen. Foto: Benno Neeleman

Die Henna-Dame lacht über das ganze Gesicht. "Du gehst zu deiner Tahara? Welche Bilder soll ich Dir denn aufmalen?" - "Blumen! Blumen auf meinen Händen und meinen Füßen!" Sorgfältig trägt die Frau die Henna-Paste auf und Soraya sitzt so still sie kann in ihrem Stuhl, bis die Farbe getrocknet ist. Als die überschüssige Paste abgewaschen ist, kommt eine feine Zeichnung zum Vorschein.

Auf dem Weg nach Hause bekommt Soraya einen Schokoriegel. Als Mutter und Tochter zu ihrer Hütte kommen, steht dort Ghada, eine Mitarbeiterin des SOS-Sozialzentrums in Khartum, die einen ihrer regelmäßigen Besuche abstattet. Gemeinsam setzen sich die Drei in die enge Lehmhütte und plaudern – bis Ghada die Henna-Zeichnungen auf Sorayas Händen entdeckt und plötzlich ernst wird. "Du willst sie also wirklich dorthin bringen?", fragt Ghada und schaut Sorayas Mutter an. Die Antwort: "Ja. Wir werden sie morgen zu ihrer Tahara begleiten."

Wörtlich übersetzt bedeutet Tahara Reinigung, aber im umgangssprachlichen Sudanesisch ist damit vor allem die weibliche Beschneidung gemeint. Eine 2016 veröffentlichte Untersuchung von UNICEF zeigt, dass fast 90 Prozent aller sudanesischen Mädchen und Frauen beschnitten sind.

"Weißt du, dass deine Tochter dabei verbluten kann?"

Die SOS-Kinderdörfer versuchen, ein Umdenken in Gang zu setzen. Immer wieder weisen sie auf die Gefahren der Beschneidung hin, bei der im extremsten Fall die äußeren und inneren Schamlippen sowie die Klitoris entfernt werden. Anschließend werden die Frauen zugenäht, bis nur noch eine kleine Öffnung bleibt. Meist nehmen Beschneiderinnen oder Hebammen den Eingriff unter primitiven Bedingungen vor.

Jedes Mädchen muss ein Recht auf Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit haben. Foto: Benno Neeleman

Ghada hat dieses Gespräch schon oft geführt: Erinnerst du dich an deine eigene Beschneidung? Wie du gelitten hast? Und weißt du, dass deine Tochter dabei verbluten kann? Und dass manche Frauen ihr Leben lang Depressionen und Angstzustände deswegen haben? Sorayas Vater kommt hinzu und die Eltern diskutieren mit der Sozialarbeiterin. Soraya selbst macht große Augen. Alles, was sie bisher über die Tahara wusste, war, dass es ein neues Kleid gibt und Henna-Zeichnungen.

Als Ghada die kleine Hütte verlässt, ist sie sich nicht sicher, wie sich die Familie entscheiden wird. Selbst Frauen, die genau Bescheid wissen, lassen ihre Töchter beschneiden. Unbeschnittene Frauen haben es oft schwer, einen Mann zu finden, sie werden geächtet, gelten als unrein.

Eine Woche später kommt Ghada wieder. Soraya läuft fröhlich herum und spielt vor der Hütte. "Bist du denn nicht beschnitten worden, Soraya?" "Nein, wir sind nicht hingegangen!" "Warum nicht?" "Weil ich nicht sterben möchte und weil die Tahara unrecht ist." 

 

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