Sandra Bürger, 20, arbeitet in der Steuerungsgruppe von Quality4Children (Q4C) mit, um dort die Stimme der Jugendlichen zu vertreten. Sie kam mit 15 Jahren in eine betreute Wohneinrichtung von SOS-Kinderdorf Österreich.
Das Quality4Children-Projekt basiert ja ganz wesentlich auf der Mitarbeit der Betroffenen selbst. Wie kann Partizipation in der Betreuung konkret ausschauen?
Sandra: In erster Linie geht es darum, dass wir gefragt werden, was wir wollen, denken und uns wünschen, dass man unsere Meinung hört. Eine Mitgestaltung des Umfelds, in dem man lebt, ist auch sehr wichtig. Ich kann da aus eigener Erfahrung sprechen. In meiner Wohnung im Haus am Lohbach waren die Wände aus Beton. Ich durfte sie nicht anmalen, durfte nicht so gestalten, wie ich es wollte. Natürlich, die Wohnung gehört einem nicht, aber ein gewisser Freiraum wäre schon gut. Außerdem hätte es sicher geholfen, wenn es regelmäßige Treffen aller Hausbewohnerinnen gegeben hätte, wo man sich austauscht und gemeinsam Dinge vorbringt.
Wie hast du deine Rolle im Projekt Quality4Children erlebt?
Sandra: Letztes Jahr im Frühjahr erhielt ich einen Anruf und wurde gefragt, ob ich auf den Kongress Quality4Children fahren will. Ich hatte keine Ahnung von dem Projekt, aber es klang interessant und so fuhren Helene (Anm.: eine weitere Jugendliche, die von SOS-Kinderdorf betreut wurde) und ich nach Gmunden. Wir dachten eigentlich, wir würden hauptsächlich zuhören, aber dann waren wir in dem Jugendlichen-Workshop und sollten das Ergebnis davon vor dem Plenum präsentieren. Vor 500 Leuten! Helene und ich haben dann nur ein paar Plakate hochgehalten und einen der anderen Jugendlichen reden lassen. Aber das war eine ganz tolle Erfahrung! Zum ersten Mal konnten wir uns mit Gleichgesinnten, mit Leuten, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, austauschen. So etwas hat es vorher nie gegeben. Und das war cool, weil die wissen einfach, wovon man redet. Ja, und vor ein paar Monaten wurde ich dann gefragt, ob ich in der Steuerungsgruppe mitarbeiten will. Das wollte ich natürlich, ich habe vorher eh immer wieder nachgefragt, ob es nicht eine Möglichkeit gibt, dass ich weiter mitmachen kann. Bei den Meetings dabei zu sein, das war super. Aber auch sehr anstrengend. In Prag zum Beispiel haben wir einmal zwölf Stunden am Tag gearbeitet. In jeder der Working Groups ist zumindest ein Jugendlicher, weil wir eben manchmal anders denken. Ich finde es toll, dass wir da mitarbeiten und mitreden können. Ich glaube, die sind richtig froh um uns Jugendlichen, weil immer, wenn einer von uns den Mund aufmacht und was sagt, wird es mucksmäuschenstill und alle hören zu, die reißen sich um unsere Kommentare!
Glaubst du, dass ein Projekt wie Q4C echte Veränderungen und notwendige Verbesserungen erreichen kann?
Sandra: Ich finde das Projekt super, aber letztendlich wird alles von der Umsetzung der Standards abhängen. Wenn das gelingt, dann bringt das auf jeden Fall Verbesserungen. In den Standards geht es erstmals auch um Dinge wie Vertrauen, um Zuhören, um Zuwendung. Da gibt es zum Beispiel einen Standard, in dem heißt es: "Versuche, Versprechen zu halten". Da geht es um die Qualität der Beziehung und das ist doch das Allerwichtigste.
Gibt es einen Standard für dich, der besonders wichtig ist?
Sandra: Für uns Jugendliche ist besonders wichtig, dass man, wenn man mal aus einer Betreuung ausgetreten ist, auch wieder zurück kann, für den Fall, dass man es allein noch nicht schafft. Ich weiß, dass eine Wiederaufnahme schwierig ist, aber manchmal wäre es so wichtig. Die meisten Jugendlichen, die in Fremdunterbringung aufgewachsen sind, sind auf der Suche nach intensiven Beziehungen. Dann kriegen sie schon früh ein Kind oder hängen sich an einen Freund oder eine Freundin, egal wer, und schlittern oft in die nächste Katastrophe. Da braucht es Unterstützung. Aber eigentlich ist jeder einzelne Standard wichtig. Das meiste von dem, was da erarbeitet worden ist, gibt es heute noch nicht. Vor allem was Partizipation anbelangt. Dass Jugendliche wirklich gefragt werden, wo sie untergebracht werden wollen, welche Ausbildung sie machen wollen, dass man gemeinsam Pläne macht, wie man langsam in ein selbständiges Leben findet, alles das ist wichtig. Manches von dem, was die Jugendlichen wollen, ist vielleicht utopisch und kann nicht verwirklicht werden, aber Hauptsache ist, dass man gefragt wird und einem Gründe genannt werden. Dann fühlt man sich Ernst genommen.
Wenn die Qualitätsstandards umgesetzt werden, welche Veränderung bedeutet das für die betreuten Kinder und Jugendlichen der Zukunft?
Sandra: Die Betreuung wird individueller. Eigentlich sollte das selbstverständlich sein, weil Betreuung kann man nicht systematisieren und automatisieren, denn jeder Jugendliche hat andere Bedürfnisse. Individueller heißt auch teurer, aber das muss drin sein. Es kann keinen Raster geben, den man anlegt. Das ist sicher für die Betreuer nicht einfach, da ist ein Umdenken gefordert.
Ihr habt ein eigenes Netzwerk-Projekt für Jugendliche geplant. Kannst du uns etwas darüber erzählen?
Sandra: Als ersten Schritt wollen wir eine Website machen, auf der sich Jugendliche, die in Fremdunterbringung leben oder gelebt haben, austauschen können. Später würden wir dann gerne Camps und Austauschprogramme organisieren, aber das ist momentan noch nicht realistisch. Auf der Website soll es Adressen geben von Institutionen, die für uns wichtig sind, wie zum Beispiel die Kinder- und Jugendanwaltschaften. Vielleicht finden wir einen Psychologen oder einen Sozialarbeiter, der im Chat einmal in der Woche Fragen beantwortet. Aber in erster Linie soll die Website den Austausch ermöglichen. Das ist uns wichtig, weil wir selber erlebt haben, wie toll so ein Austausch ist.