Das Leben unter der Mitternachtssonne

Wie lebt es sich so als SOS-Mutter im SOS-Kinderdorf Kandalaksha im Nordwesten Russlands, wo die meiste Zeit des Jahres keine Sonne scheint?

 

IRegenbogen in Kandalaksha - Foto: I. Soloviev
Die Weißen Nächte in St. Petersburg sind spektakulär, verblassen aber im Vergleich zu dem, was einen ein paar hundert Kilometer weiter nördlich erwartet. Dort, wo die Nordlichter den Himmel in gleißendes Licht und Farben tauchen und die Mitternachtssonne die Sommernächte mit ihrem wundersamen Licht erhellt.

Das ungefähr 100 km von der Grenze zu Finnland und Norwegen entfernt gelegene SOS-Kinderdorf Kandalaksha bekommt zu seinem Glück oder Unglück von allem etwas ab, was das Leben in diesen Breitengraden so mit sich bringt und bewirkt. Die SOS-Mütter Yevgenya und Ira erzählen uns, was es heißt, dort Kinder großzuziehen.


Yevgenya versucht ihren Kindern zu geben, was sie als Kind selbst missen musste - Foto: M. Mägi
Yevgenya hat sechs Kinder in ihrer Familie und wird schon bald zwei weitere dazubekommen. "Ich möchte eine Gruppe von Kindern solange betreuen, bis sie dem Kinderdorf entwachsen sind. Dann werde ich in Pension gehen. Ich habe vor, in Pension zu gehen, da ich nicht sicher bin, ob ich die Kraft haben werde, noch eine weitere Kindergruppe zu übernehmen“, erzählt sie uns.

Was genau nimmt der SOS-Mutter eigentlich so viel Kraft? Das Klima und die Breitengrade? Zwei Sommermonate lang versinkt der goldene Ball der Sonne nie hinter dem Horizont, und darauf folgt der lange dunkle Winter, wo die Sonne ganz vom Himmel verschwindet. Die Winter sind lang und hart – sie dauern von Oktober bis April, manchmal bis Mai. Der Juni bringt den Frühling, und dann hält der Sommer Einzug. Im September kommen kalte Winde auf, und es beginnt zu regnen. Vor ein paar Jahren kamen die Kinder schon am 1. September in den "Genuss" von Schnee.

 


SOS-Mutter Ira hebt die Bedeutung von Schauspielkenntnissen hervor - Foto: M. Mägi
"Es sind nicht nur die Erwachsenen, denen dadurch leicht die Kraft genommen wird. Den Kindern ebenso", sagt Ira. "Stellen sie sich zwei Monate lang polare Tage vor: Das bedeutet, es ist hell, und zwar immer und überall – man weiß gar nicht mehr, wann man schlafen gehen soll. Und dann die polaren Nächte – die Lernfähigkeit und Vitalität der Kinder sinkt drastisch – sie schlafen fast die ganze Zeit."

"Die innere Uhr gerät völlig durcheinander; man ist nicht so gesund, weil die Vitamine, die man dem Körper zuführt, keine Wirkung haben – sie brauchen Sonnenlicht zu ihrer Entfaltung, aber das haben wir ja nicht… Wenn hier jemand drei Liter Saft trinkt, nimmt er genauso viel an Vitaminen auf wie jemand, der ein Glas Saft in St. Petersburg trinkt."

 

Der Arbeit Lohn

Angsichts dieser schwierigen klimatischen Bedingungen fragt man sich, warum Ira und Yevgenya überhaupt noch hier sind? "Die Arbeit ist interessant – einerseits kommt der Mutterinstinkt voll zum Tragen und andererseits die berufliche Entwicklung, das finde ich daran so spannend. Es ist so großartig zu sehen, dass man sich mit den Kindern versteht, ohne dass es großer Erklärungen oder Worte bedarf", sagt Ira und gibt auch zu verstehen, dass es die Menschen sind, die sie trotz der ungünstigen Bedingungen an diesem Fleckchen Erde halten. Das raue Klima macht die Menschen bescheidener und hilfsbereiter.

Yevgenya sagt, dass es sie befriedigt, den Kindern helfen zu können. "Sie heranwachsen zu sehen, mitzuerleben, dass ihnen etwas gelingt, und zu sehen, dass meine Arbeit etwas gebracht hat, das ist der schönste Lohn. Ich kann es nicht besser erklären."

Beide Frauen glauben, dass Frauen, die als SOS-Mutter arbeiten wollen, zwei Dinge mitbringen müssen: Geduld und - so unglaublich das klingen mag - Schauspielkenntnisse.

Dein Leben, nicht nur dein Beruf

"Schauspielkenntnisse oder Weisheit, wie immer man das nennen mag. Ich werde Ihnen ein konkretes Bespiel geben: In meiner Familie gab es ein Kind, das immer das Spielzeug kaputtmachte. Ich erfand eine Geschichte, in der das Spielzeug deshalb nicht mehr mit dem Kind spielen will, und dabei musste ich überzeugend klingen. Das Kind glaubte mir, und so hatten wir das Problem gelöst", sagt Ira und fügt hinzu, dass eine SOS-Mutter noch über eine weitere Eigenschaft verfügen muss. "Eine Mutter muss an eine gute Zukunft glauben und an sich selbst, damit sie ihren Kindern Stütze und Schutz sein kann."

Ira begann mit der Betreuung ihrer Kinder, nachdem sie erkannt hatte, welche Vorteile das System von SOS-Kinderdorf bietet. Sie arbeitete in einem Waisenhaus und empfand das System als nicht völlig zufriedenstellend. "Ich ging nach Hause und fragte mich, was während meiner Abwesenheit geschehen würde," sagt sie und erläutert uns die Nachteile eines Achtstundenjobs. Sie erzählt uns, dass sie schon immer von einer großen Familie geträumt hatte.

Yevgenyas Motivation liegt in ihrer eigenen Kindheit. "Ich bin im sowjetischen Schul-Internat-System aufgewachsen (Ein “Schul-Internat” ist ein Heim für verwaiste schulpflichtige Kinder.) und ich wollte meinen Kindern geben, was ich in meinem Leben hatte missen müssen. Mutter in einem SOS-Kinderdorf zu sein ist bestimmt nicht nur ein Job, es ist dein Leben."

 

Hilfe für Kinder in Not

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