Philippinen: Ein Jahr nach dem Taifun

Die Menschen blicken wieder nach vorne

8. November 2013: Haiyan, einer der mächtigsten Taifune aller Zeiten, bricht mit verheerender Zerstörungskraft über die Philippinen herein. Die 200.000-Einwohner-Hafenstadt Tacloban macht er dem Erdboden gleich. Insgesamt sterben an diesem Tag mehr als 6000 Menschen. Millionen Menschen lässt der Sturm mittellos zurück, darunter unzählige Kinder. Das SOS-Kinderdorf in Tacloban wird zur Basis der SOS-Nothilfe, die bis heute andauert.

"Es war wie in einer Waschmaschine"


Angst, Zerstörung und Tod. Viele Kinder waren durch die schrecklichen Erlebnisse traumatisiert. Foto: Sebastian Posingis
Als Haiyan über Tacloban tobte, flüchtete auch die Familie von Jay Kian Solvera in die benachbarte Schule. Wie die Häuser vieler anderer, drohte ihre einfache Behausung aus Holz und Wellblech dem Sturm nicht Stand zu halten. Doch als die Wassermassen auch das Schulgebäude überfluteten, verwandelten sie es in eine tödliche Falle. "Es war grausam", erinnert sich Jay Kians Mutter. "Es war wie in einer Waschmaschine, nur dass statt Kleidern hilflose Kinder umhergespült wurden. Mein Sohn musste miterleben, wie Kinder aus seiner Schule und der Nachbarschaft vergeblich nach ihren Müttern riefen, wie sie in den Fluten ertranken." Jay Kian ließen die Erlebnisse lange nicht los. Er blieb in sich gekehrt und verschlossen - monatelang. Viele Kinder wie Jay Kian erlebten Traumatisches. Angst, Hilfslosigkeit und die Erinnerung an den Tod von Familienangehörigen und Freunden machte für viele einen Neubeginn schwer.

Hilfe musste her – und das schnell


Auch das SOS-Kinderdorf Tacloban glich einer Trümmerwüste. Dennoch diente es als Basis für die Hilfsmaßnahmen. Foto: Sebastian Posingis
"Wir müssen sofort etwas für die Kinder tun", entschied Gregor Nitihardjo, Leiter der indonesischen SOS-Kinderdörfer. Erfahren in der Aufbauarbeit nach dem Tsunami, reiste er umgehend ins Krisengebiet. Seine philippinischen Kollegen waren durch den Todes-Taifun größtenteils selbst betroffen und benötigten dringend Unterstützung. Gemeinsam mit SOS-Mitarbeitern aus Indien und anderen Teilen des Landes organisierte das SOS-Team erste Hilfsmaßnahmen. Eine logistische Herausforderung: Straßen waren unpassierbar, Telefonleitungen zusammengebrochen, es herrschte Chaos und Verzweiflung.

Schutzzonen für Kinder


Eine wichtige Anlaufstelle nach der Katastrophe: die SOS-Kindertagesstätten. Foto: Sebastian Posingis
"Kinder sind nach solchen Katastrophen besonders gefährdet", weiß Sumanta Kar, Programmverantwortlicher der Asiatischen SOS-Kinderdörfer aus Erfahrung. "Ihre Eltern müssen sehen, wo sie Essen und Trinken herbekommen und wo sie die nächsten Nächte überhaupt sicher schlafen können. In einer solchen Situation gibt es wenig Raum, wo Kinder geschützt sind." Deshalb setzte das SOS-Team alles dran, um in kürzester Zeit rund um Tacloban elf SOS-Kinder-Tagestätten zu errichten. Rund 2000 Mädchen und Jungen konnten hier durch Singen, Malen, Erzählen und Spielen die schrecklichen Erlebnisse verarbeiten.

Zerstörte Existenzen


Nestor Magayones kann dank der SOS-Hilfe wieder fischen gehen. Foto: Sebastian Posingis
Nicht nur die Kinder hatte Haiyan schwer traumatisiert. Auch deren Eltern hatte er alles genommen. "Mit meinem Boot habe ich meinen Lebensnerv verloren, so als ob ich meinen ganzen Arm verloren hätte", erzählt Fischer Nestor Magayones. Der 52-Jährige aus Bislig weiß, wovon er spricht, denn er hat bei einem Unfall vor einigen Jahren seine rechte Hand verloren. Wie viele seiner Nachbarn lebten er und seine Familie vom Fischfang, bis der Taifun kam und ihnen Haus, Boot und damit ihre komplette Lebensgrundlage raubte.

Hilfe zur Selbsthilfe

"Uns war schnell klar: Wir müssen die Leute dort abholen, wo sie vor dem Taifun standen", erzählt Oscar Garol, Leiter des SOS-Kinderdorfes in Tacloban. "Wer als Fischer arbeitete, braucht ein Boot. Ein Schreiner braucht Werkzeug, und jemand, der einen Imbiss betrieben hatte, braucht Startkapital, um sein Geschäft wieder aufbauen zu können."
467 Familien unterstützte SOS deshalb dabei, ihre Existenzgrundlage wieder aufzubauen. Nestor und seine Kollegen erhielten neue Fischerboote, andere Werkzeuge und Kredite. "Vor ein paar Tagen habe ich einen 10-Kilo schweren Fisch gefangen, er hat mir 800 Pesos (ca. 14 Euro) eingebracht. Damit kann ich meine Familie zwei Wochen lang ernähren. SOS hat uns damit unser Leben zurückgegeben", sagt Nestor.

Ein Jahr danach

Heute, ein Jahr nachdem Haiyan eine Schneise der Zerstörung hinterließ, haben die Schulen und Kindergärten im Katastrophengebiet  fast alle wieder geöffnet. Neben der SOS-Schule in Tacloban, die wieder instand gesetzt und dabei auch vergrößert wurde, ermöglichten die SOS-Kinderdörfer den Wiederaufbau einer Schule im Fischerdorf Panalog. Für rund 1.000 Mädchen und Jungen ist so die Schulausbildung wieder gesichert.
Acht Monate, fast ein ganzes Schuljahr lang, war Jay Kian nicht dazu zu bewegen, zum Unterricht zu gehen. Zu erdrückend waren die Bilder aus der Katastrophennacht. Bis er eines Tages sagte: "Es geht mir wieder gut Mama, ich möchte lernen."

Neue Häuser – neues Leben

"Meine Kinder haben nun Platz zum Spielen. Das Haus ist trocken, wir müssen nicht mehr ich einem feuchten Bett schlafen. Es ist ein Segen für uns!", bedankt sich Liezl Acosta. Die alleinstehende Mutter von drei Kindern hat eines der neuen Wohnhäuser bezogen, die die SOS-Kinderdörfer für bedürftige Familien errichten. 550 sollen es bis Mitte 2015 werden.
Auch die Wohnhäuser im SOS-Kinderdorf Tacloban werden Schritt für Schritt renoviert. Noch teilen sich einige der SOS-Familien eine Wohnung. Doch für die SOS-Kinder ist das kein Problem. Wie so viele andere Familien im Katstrophengebiet sind sie zusammengerückt und unterstützen sich gegenseitig.

Kindern wieder eine Familie geben


Kinder wie Nico haben nach der Katastrophe ein neues Zuhause bei Verwandten gefunden. SOS unterstützt diese Familien. Foto: Sebastian Posingis
"Ich nenne meine Oma jetzt Mama", sagt der 14-jährige Nico Melo. "Sie kümmert sich darum, dass ich jeden Morgen zur Schule gehe." Wie viele andere Kinder hat auch er beim Taifun seine Eltern verloren. Auch seine Großmutter Asela Villegas hat das Schicksal schwer getroffen: Drei ihrer Kinder starben. Nun hat die 65-Jährige die Mutterrolle übernommen und kümmert sich um fünf ihrer Enkel. "Es wäre einfacher, aufzugeben und traurig zu sein, aber ich habe mein Schicksal angenommen und versuche, etwas Positives daraus zu machen", erzählt die starke Frau.

Doch neben der Aufgabe, den Kindern die Mutter zu ersetzen, steht die Sorge, wie sie die Ausbildung und das tägliche Leben der Kinder finanzieren soll. "Ich bin Rentnerin ohne Schulabschluss und das, was mein Mann durch Schreinerarbeiten und Hilfe auf dem Markt verdient, reicht bei weitem nicht für alle", berichtet Frau Villegas. Hier greift eine weitere SOS-Hilfsmaßnahme. "Wir wollen diesen Kindern all das geben, was wir ihnen in einem SOS-Kinderdorf auch geben könnten", erklärt Oskar Garol vom SOS-Kinderdorf Tacloban. "Essen, Kleidung, Medizinische Versorgung und Ausbildung. Und jemanden, der sich liebevoll um sie kümmert. Diesen Menschen haben Kinder wie Nico zum Glück. Um den Rest kümmert sich SOS." 125 Kinder unterstützt derzeit das Pflegeelternprogramm - langfristig.

Oscar Garol macht den Menschen Mut: "Ihr habt eine Zukunft! Viele von Euch haben Angehörige und Freunde verloren, aber gemeinsam schaffen wir es."


 

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