Herr Rodenbach, wie würden Sie die Stimmung in Brasilien, in Rio, wenige Tage vor Beginn der Spiele bezeichnen?
Wir leben derzeit in Brasilien mit einer der größten Wirtschaftskrisen seit 1930, mit einer hohen Inflation, und wir leben gleichzeitig in einer Zeit, wo die Aufdeckung des größten Korruptionsnetzwerkes in der Geschichte des Landes stattfindet. Und da kann man sich vorstellen, dass die Menschen jetzt mit persönlichen Herausforderungen belastet sind, die jetzt das Interesse an der Olympiade sehr schmälern.
Noch vor wenigen Jahren wuchs in Brasilien die berechtigte Hoffnung, dass es wirtschaftlich bergauf und damit vielen Menschen zukünftig besser gehen würde. Wie konnte es passieren, dass innerhalb weniger Jahre davon nichts mehr geblieben ist?
Brasilien exportierte damals vor allem Eisenerze nach China, aber es gab auch große Erdölfunde, wo auch die Spekulationen über die Erdölpreise die Wirtschaft ankurbelten. Man glaubte, dass das Land weiter in dieser Aufschwungtendenz bleiben würde. Doch das ist alles innerhalb kürzester Zeit, bedingt durch Chinas Wirtschaftswachstumsstopp, sehr, sehr stark zurückgegangen.
Von der WM hatten sich viele Brasilianer etwas versprochen, Stichwort: Infrastruktur. Geblieben sind in erster Linie die berühmten „weißen Elefanten“, also die Stadien, die heute nicht mehr benötigt werden und niemandem etwas bringen. Hat man aus diesen Fehlern gelernt?
Die Sporthallen sollen später zu Schulen umgebaut werden, das olympische Dorf soll als Wohnraum genutzt werden - also, ich glaube, man hat gelernt. Auch die Metrolinie, die von Copacabana/Ipanema heraus in die Barra geht, wo ja die Hauptereignisse stattfinden, wird hoffentlich in letzter Minute fertiggestellt. Da gibt´s tatsächlich Vorteile für die Bevölkerung, die einfach positiv sind.
Aktuellen Schätzungen zufolge geht man davon aus, dass rund 60 Millionen der etwa 200 Millionen Einwohner Brasiliens an oder unterhalb der Armutsgrenze leben. Welche Möglichkeiten haben denn die SOS-Kinderdörfer den Menschen zu helfen? Wo setzen Sie da an?
Unsere Aufgabe ist es jetzt, angesichts dieser anrollenden großen Armutswelle, denen zu helfen, die das schwächste Glied sind: Das sind alleinerziehende Mütter und ihre Kinder. Und das zweite, wo SOS stark investiert, ist Berufsausbildung: Da geht es darum, dass man den Jugendlichen, die häufig der Verführung durch den Drogenhandel ausgesetzt sind, Perspektiven anbietet.