Über 250.000 Tote, mehr als 10 Millionen Flüchtlinge und unsagbares Leid für eine ganze Region – vor fünf Jahren, im März 2011, entwickelte sich aus friedlichen Demos der Syrien-Krieg. Aktuell herrscht zwar Waffenstillstand, wie lange dieser wirklich hält, vermag aber niemand zu sagen. Über 5 Jahre Krieg und Leid in Syrien spricht Louay Yassin, Pressesprecher der SOS-Kinderdörfer weltweit, im Interview.
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Seit etwa einem Jahr bemerken wir auch hierzulande die Folgen des Syrien-Kriegs, immer mehr Menschen kommen ins sichere Deutschland. Sie waren gerade in der Region, im Libanon und haben sich dort in Flüchtlingslagern umgesehen. Ich vermute, wenn man so etwas gesehen hat, hat man allergrößtes Verständnis dafür, dass die Menschen in ein sicheres Land wie Deutschland flüchten, oder?
Ja das ist richtig. Aber es müsste nicht so sein! Ich habe im Libanon viele Flüchtlingscamps besucht. Nirgendwo sind die Kinder zur Schule gegangen. Auch die Lebensumstände waren schrecklich. Viele Menschen lebten buchstäblich im Dreck: Wenn es geregnet hat, dann standen die Leute zentimetertief im Schlamm. Essen gab es oft nicht genug. Ich hab mit einer Frau aus Aleppo gesprochen, die lebt mit ihren Kindern seit fast fünf Jahren in diesen Zuständen. Der Mann ist gleich zu Beginn des Krieges umgekommen und sie ist mit ihren sechs Kindern – heute im Alter von 6 bis 13 Jahren – geflohen. Keines dieser Kinder hat je eine Schule von innen gesehen. Und jetzt komme ich zu ihrer Frage zurück: Würde man die Flüchtlinge im Libanon und in der Türkei besser unterstützen, wenn sie arbeiten und die Kinder zur Schule gehen könnten, würden sich nur sehr wenige Menschen auf den Weg nach Europa machen. Und am allerliebsten würden natürlich alle in ihre Heimat zurückkehren – wenn kein Krieg wäre.
Glauben die Menschen denn nach fünf Jahren des Krieges noch daran, dass bald wieder Frieden herrschen wird, oder sind die meisten längst desillusioniert?
Im Grunde hoffen alle, dass der Krieg bald zu Ende ist und dass sie nachhause können. Allerdings glauben nicht wirklich viele daran, dass bald was daraus wird. Die gegnerischen Parteien dort sind einfach zu sehr verfeindet.
Wie sieht es denn nach fünf Jahren Krieg eigentlich in den SOS-Kinderdörfern in Syrien aus? Ist dort ein halbwegs geregelter Alltag, ein geregeltes Leben möglich?
Es gibt nur noch ein Kinderdorf in Syrien und das ist bei Damaskus. Das zweite in Aleppo mussten wir evakuieren. Dem Kinderdorf war der Krieg einfach viel zu nahe gekommen. Die Kinder aus Aleppo sind aber jetzt alle im Kinderdorf in Damaskus untergekommen und allen geht es sehr gut. Aber vielen Kindern außerhalb geht es dafür sehr schlecht. Hunger, Verletzungen, Tod, sogar schwerste Traumata sind an der Tagesordnung.
SOS ist in über 130 Ländern der Welt aktiv und hat in seiner über 60-jährigen Geschichte schon viele Krisen und Kriege miterlebt. Wo würden Sie denn den Syrien-Krieg und alle seine Folgen einordnen?
Also für die SOS-Kinderdörfer ist das die größte und längste menschliche Katastrophe, in der wir je Nothilfe geleistet haben.