Drei Jahre nach dem IS-Angriff auf die Jesiden im Nordirak werden noch immer über 3.000 Menschen vermisst. Die meisten von ihnen sind Kinder und Frauen. "Mädchen und junge Frauen wurden als Sklavinnen verkauft oder IS-Kämpfern als Ehefrau versprochen. Auch sehr junge Mädchen wurden nicht verschont. Jungs wurden zu Kindersoldaten ausgebildet", sagt Katharina Ebel, SOS-Nothilfe-Koordinatorin im Nordirak.
Vor drei Jahren, am 3. August 2014, startete die IS-Terrormiliz ihren Vernichtungsfeldzug gegen die Jesiden im nordirakischen Sinjar-Gebirge. 10.000 wurden getötet und rund 400.000 zur Flucht gezwungen. Tausende wurden von den Dschihadisten verschleppt und versklavt. Von den insgesamt 6.417 offiziell als vermisst Gemeldeten konnten 1.628 Kinder, 1.094 Frauen und 334 Männer in den vergangenen drei Jahren befreit werden, so die Behörde zur Ermittlung von IS-Entführungsfällen in Dohuk. Von den anderen 3.361 fehlt noch immer jede Spur.
Intensive psychologische Betreuung von Kindern und Jugendlichen
Auch nach der Befreiung aus der IS-Gefangenschaft sind die Qualen der Opfer nicht vorbei, wie SOS-Nothilfe-Koordinatorin Ebel weiter berichtet: "Vor allem die Kinder sind schwer traumatisiert und brauchen dringend Hilfe." Diese erhalten derzeit 800 Kinder und deren Mütter von den SOS-Kinderdörfern im Rahmen eines Modellprojekts im Flüchtlingslager Khanke bei Dohuk. SOS ist eine der wenigen Hilfsorganisationen in der Region, die sich intensiv um die psychologische Betreuung von Kindern und Jugendlichen bemühen.
"In achtwöchigen Trainings versuchen wir die Selbstheilungskräfte der Kinder und Jugendlichen durch 20 verschiedene Techniken zu aktivieren. So sollen sie lernen, die grauenhaften Erfahrungen zu verarbeiten und wieder Herr über ihre Emotionen werden", erklärt Ebel, die das SOS-Projekt leitet. "Viele der Kinder und Mütter wurden verkauft und versklavt. Nach ihrer Befreiung kämpfen sowohl Rückkehrer als auch Familienangehörige um Normalität." Weder für die Befreiten noch für ihre Familien sei es leicht, zum Alltag überzugehen: "Entfremdung, schwere Traumatisierungen oder auch einfach nur das Verpassen von drei Jahren Schulunterricht müssen bewältigt werden. Das ist ohne greifende, langfristige Hilfsangebote eine schwere Bürde, die die Familien an den Rand der Belastbarkeit bringen kann."
Neue Lebensperspektive
Neben psychologischer Unterstützung gibt die Hilfsorganisation den Kindern, Frauen und Familien nach dem IS-Terror auch eine Lebensperspektive: So werden Alleinerziehende beispielsweise in einem Café ausgebildet und Kinder erhalten Schulunterricht. "Damit verhindern wir auch, dass die Kinder arbeiten gehen. Denn viele sehen, wie ihre Mütter um jeden Cent zu kämpfen haben, und wollen deshalb helfen, anstatt zu lernen. Deshalb ist es wichtig, dass Mütter und Familien auf eigenen Beinen stehen und Einkommen generieren, damit die Kinder zur Schule gehen können", berichtet Ebel.
Das SOS-Hilfsprojekt und die psychosoziale Arbeit im Nordirak werden laut Ebel nach der Befreiung Mossuls noch lange wichtig bleiben, da täglich neue Kinder mit schweren Traumata im nur 80 Kilometer nördlich gelegenen Dohuk eintreffen.