Katharina Ebel ist als Nothilfe-Koordinatorin der SOS-Kinderdörfer auf der ganzen Welt in Krisengebieten wie dem Irak oder Syrien unterwegs. Dort setzt sie sich ganz gezielt für Frauen ein und versucht deren Rolle in der Gesellschaft zu stärken. Zum Weltfrauentag am 8.3. spricht sie im Telefon-Interview über ihre Erfahrungen.
Frau Ebel, kurz mal zu ihren eigenen Erfahrungen: Wie ist man Ihnen denn in Ihrem Job als verantwortliche Nothilfe-Koordinatorin begegnet? Viele dieser Länder sind ja schließlich sehr stark männerdominiert…
Katharina Ebel: Meine Erfahrungen waren: Ja, ich werde dort respektiert. Die meist von Männer dominierten Teams, die ich dann auch geleitet habe, hatten kein Problem damit, mir zu folgen. Ich musste mich aber auch anpassen, wenn ich in Gegenden war, die sehr konservativ waren. Dann war das schon so, dass man dort am Anfang überhaupt nicht mit mir geredet hat. Ich habe mich dann zurückgenommen und hatte jemanden, der für mich gesprochen hat, das hatten wir dann vorher abgesprochen. Auf diese Weise ging es dann schon. Am Ende sind die Leue über ihre kulturellen Grenzen auch hinweggegangen. Das heißt sie haben mich zum Essen eingeladen, obwohl sie verheiratet waren – und wenn das ein Mann tut, ist das schon sehr ungewöhnlich. Das heißt: Da ist vieles möglich und ich kann nicht sagen, dass ich da Negativerfahrungen gemacht hätte.
Durch Ihre Arbeit in den Krisenregionen – welche Sicht auf den "Weltfrauentag" und auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft haben Sie dadurch bekommen?
Das hängt glaub ich auch von der Sicherheitslage des Landes ab. Auf der einen Seite haben sie im Irak zum Beispiel Frauen, die als Peschmerga kämpfen, die die Waffe in die Hand nehmen und neben den Männern stehen. Und auch Frauen, deren Männer und Söhne erschossen wurden, und die, wie das auch hier nach dem Zweiten Weltkrieg der Fall war, als Oberhaupt der Familie eine ganz andere Rolle einnehmen. Aber das hängt natürlich auch von den Führern der Gesellschaften ab, auch von den religiösen Führern, wie weit sie sich öffnen und Frauen unterstützen. Das ist ein Prozess, der dauert lange. Als Hilfsorganisation versuchen wir zum Beispiel im Irak Frauenrechte und Frauen zu fördern.
Ist es nicht eigentlich bitter, dass es in der heutigen Zeit immer noch nötig ist, Frauen zu fördern, damit sie sich ihren Platz in der Gesellschaft erkämpfen können?
Wenn man in die 70er Jahre schaut, in Afghanistan, im Iran, im Irak, dann war das etwas völlig anderes. Frauen haben kurze Röcke und kurze Haare getragen. Sie haben sich durchaus emanzipiert. Aber das ist leider in den letzten Jahrzehnten immer weiter zurückgegangen und erstaunlicherweise auch nach dem arabischen Frühling: Es sind sehr viele junge Leute - und junge Frauen vor allem auch - auf die Straße gegangen. Aber im Endergebnis haben konservative Strömungen wieder die Oberhand bekommen und Frauen stehen heute schlechter da als vorher. Das heißt: Sie müssen sich ihren Weg wieder frei kämpfen. Das ist nicht ganz einfach, aber sie haben es vorher geschafft und sie werden es auch wieder schaffen.
Ich stelle mir das gar nicht so einfach vor, nicht nur für die Frauen, sondern auch für Sie und ihre Arbeit für die SOS-Kinderdörfer weltweit. Immerhin agieren Sie als Frau in Gesellschaften, die – wie Sie es schildern – mittlerweile wieder sehr patriarchisch geprägt sind und die von Männer dominiert werden…
Ja, das ist ein Balanceakt und Sie schaffen es letztendlich nur über die Männer. Das heißt: Klar, Sie müssen das Selbstbewusstsein der Frauen stärken. Aber das nutzt alles nichts, wenn sie die Männer nicht ins Boot kriegen. Religiöse Führer, die Führer der jeweiligen Gemeinden, Bürgermeister, Lehrer, die müssen Sie vorher überzeugen. Die haben Einfluss und da fängt Ihre Arbeit eigentlich an. Es geht nur in kleinen Schritten. Ich vergleich das gerne mit den 50er Jahren in Deutschland: Wenn Mädchen damals nach der 8. Klasse abgehen mussten von der Schule, weil mehr Bildung brauchte eine Frau nicht, dann hat sich das auch nicht einfach so geändert.
Haben Sie ein konkretes Beispiel, wo bereits etwas für Frauen erreicht werden konnte?
Der so genannte "Islamische Staat" hat Frauen vergewaltigt, jesidische Frauen, systematisch. Diese Frauen werden von der Gesellschaft verstoßen, weil ihnen eine Mitschuld angehängt wird. Man hat dann religiöse Führer angesprochen: Bitte setzt euch dafür ein, dass die Gesellschaft diese Frauen wieder aufnimmt. Die haben das auch gemacht und eine Botschaft an ihre Gemeinden geschickt: Diese Frauen und Mädchen konnten nichts dafür, das war ein Verbrechen. Da gab es einen großen Schritt. Aber wir sind trotzdem, vor allem im Irak, in einer Gesellschaft, die teilweise noch sehr weit zurück ist in der Entwicklung, wenn man von der ländlichen Bevölkerung ausgeht.
Wie schwer fällt es denn den Männern, in den Krisengebieten, in denen Sie unterwegs sind, sich für die Rechte der Frauen einzusetzen und diese zu stärken?
Das ist schwer zu verallgemeinern. Wenn es um Verbrechen ging, wie eben die Massenvergewaltigungen durch den IS, und darum, diese Frauen wieder in die Gesellschaft aufzunehmen, da waren die religiösen Führer sehr offen und sehr hilfsbereit. Wenn es darum geht, etwas im Privaten, zu Hause, die Haltung von Männern zu ändern, dann wird es schon schwieriger. Da heißt es dann: "Wenn ich jetzt mit meinen Kindern spiele, sieht das ja so aus, als würde ich die Frauenrolle übernehmen." Da sind dann schon sehr viele Sperren, an denen man immer wieder arbeiten muss.
Wie ist das für die Frauen vor Ort? Wie erleben Sie deren Suche nach einem modernen, gleichberechtigten Stand in der Gesellschaft?
Erstaunlicherweise habe ich Kolleginnen, die sehr erfolgreich sind in ihrem Job, die studiert haben und die auch sehr jung schon in hohen Positionen sind. Aber wenn man die dann einlädt, zum Abendessen zum Beispiel, dann verfallen sie sofort wieder in ihre alten Rollenbilder: Sobald alle mit dem Essen fertig sind, springen die auf, und waschen die Teller ab.
Gibt es etwas, das wir von den Frauen beispielsweise in Ländern wie Afghanistan lernen können? Wo sie vielleicht sogar weiter sind als wir im westlich geprägten Europa?
Frauen sind auf der einen Seite für Emanzipation und sehr erfolgreich und auf der anderen Seite sehr traditionell - und diesen Spagat kriegen sie auch hin. Dort hat man funktionierende Familien und dadurch kann die Frau einen Job haben, weil eben die Großeltern und Tanten einspringen können, weil das familiäre Netzwerk funktioniert. Da sind sie sicherlich weiter - aber eben immer mit der Voraussetzung: Die Familie muss mitspielen und genauso modern denken.