Ferienlager im Ausnahmezustand

Jeden Sommer kommen Kinder aus den SOS-Kinderdörfern in ganz Europa nach Italien, um Urlaub am Caldonazzo-See zu machen. Wie kann das SOS-Feriendorf in diesem Jahr trotz Corona-Krise gelingen? SOS-Feriendorfleiterin Carmen Eberle erzählt im Interview von Maskenpflicht im Ferienlager, einem Wechselbad der Gefühle und von den Kindern aus Italien, die jetzt dringend eine Auszeit brauchen.

Sie hat einige anstrengende Monate hinter sich: Carmen Eberle möchte den Kindern aus den italienischen Kinderdörfern einen erholsamen Sommer schenken, trotz Corona-Krise. Foto: Ford Leland 

Liebe Carmen, kann „Caldo“ in diesem Ausnahmejahr überhaupt stattfinden?

Ja und nein. Im April mussten wir der Realität ins Auge schauen und haben schweren Herzens beschlossen, dass wir leider das internationale Camp mit tausend SOS-Kindern aus Europa absagen müssen. Die Situation mit der Pandemie war damals vor allem in Norditalien, aber auch in ganz Europa, sehr dramatisch. Es war für uns alle im Camp wirklich schlimm, dass das Feriendorf Caldonazzo zum ersten Mal seit der Gründung in 1953 nicht stattfinden kann. Aber inzwischen steht fest, dass zumindest die italienischen SOS-Kinder kommen dürfen, die ja sehr hart von diesem Lockdown getroffen wurden. Es werden im Juli und August um die hundert Personen, also SOS-Kinder und ihre Betreuer, zu uns kommen.

Wie hat es sich für euch angefühlt, Kindern aus ganz Europa zu sagen, dass ihr Sommerurlaub dieses Jahr wegen COVID-19 ins Wasser fällt?

Den Tag, an dem wir die Absage erteilen mussten, werde ich nie vergessen. Das hat sich schon sehr definitiv und endgültig angefühlt. Für die Kinder in den europäischen SOS-Kinderdörfern war das sehr schlimm. Sie fiebern ja jedes Jahr Caldonazzo entgegen und beginnen schon vor Weihnachten damit, Caldonazzo zu planen – für sie gehört Caldonazzo einfach zum Sommer dazu. Glücklicherweise konnten wir wenigstens den italienischen Kinderdörfern bald danach eine Zusage erteilen. Aber auch da hat es in der Vorbereitung ein ständiges Auf und Ab gegeben: Es gab häufig neue Auflagen und Anfang Juni schaute es so aus, als ob wir auch das Camp mit den italienischen Kindern nicht durchführen konnten. Das war ein harter Schlag für uns alle. Wir hatten ja schon seit Anfang April – trotz Homeoffice und Lockdown – an der Planung für dieses Sonderprojekt gearbeitet. Eine Woche später bekamen wir dann die gute Nachricht, dass wir eine Sondergenehmigung erhalten und Caldo in kleiner Form für die italienischen Kinder stattfinden kann. Ein richtiges Wechselbad der Gefühle war das!

Wie haben die Kinder in Italien den Corona-Lockdown erlebt? Und wie ging es speziell den Kindern in den SOS-Kinderdörfern?

Nach der langen Zeit des Lockdowns brauchen die Kinder aus Italien jetzt dringend Ausgleich. Da kann auch ein Sprung in den See heilsam wirken. Foto: Fabian Haider

Die Schulen wurden in Italien schon Anfang März geschlossen und der Lockdown dauerte gute zwei Monate. Das heißt, alle italienischen Kinder waren zu Hause mehr oder weniger eingesperrt, sie durften nicht mal spazieren gehen. Man hat den Kindern zwei Monate den Kontakt zu den Gleichaltrigen weggenommen und sie mussten in dieser schlimmen Zeit sehr viel bewältigen. Ganz zu schweigen von den Kindern, die auch Familienangehörige verloren haben. Die Kinder in den SOS-Kinderdörfern waren in dieser Zeit natürlich bestens versorgt und hatten engen Beistand von ihren BetreuerInnen – jedoch haben sie noch mehr als die meisten anderen Kinder unter der Situation gelitten. Ein Großteil der Kinder, die in den SOS-Kinderdörfern leben, haben ja noch leibliche Eltern und bringen aufgrund ihrer Vergangenheit oft auch psychologische Probleme mit. Viele von ihnen waren sehr besorgt, weil sie in der Zeit des Lockdowns ihre Eltern nicht sehen konnten. Einige Kinder haben gemeint, sie würden am liebsten ihre Eltern ins Kinderdorf nehmen, damit sie sicher sind vor der Krankheit. Das hat mich sehr berührt.

Kann der Aufenthalt in Caldonazzo den italienischen SOS-Kindern dabei helfen, diese schwere Zeit des Lockdowns zu verarbeiten?

Ich würde es so bezeichnen: Es ist eine Rückkehr zur Normalität, im positiven Sinne. Die Kinder in den SOS-Kinderdörfern haben besonders unter dieser Situation gelitten. Vor allem für sie ist es wichtig, dass wir ihnen diesen Ort, der normalerweise zu ihrer Sommerroutine gehört und den sie über alles lieben, bieten können. Caldonazzo ist ja für die Kinder geschaffen und hier werden sie sich gut erholen können.

"Die frische Luft und der See, all das brauchen die Kinder jetzt dringend, um sich von dieser harten Zeit des Lockdowns zu erholen und endlich wieder runterzukommen."

Warum sind besonders die Natur und der See jetzt so wichtig für die Kinder?

Die Kinder wollen unbedingt nach draußen, die Freiheit und die Natur genießen, nachdem sie zwei Monate lang zu Hause eingesperrt waren und nicht mal spazieren oder auf den Spielplatz gehen konnten. Sie haben ein körperliches Bedürfnis nach Bewegung und Toben – dafür haben sie in Caldo mehr als genug Platz. Die frische Luft und der See, all das brauchen die Kinder jetzt dringend, um sich von dieser harten Zeit des Lockdowns zu erholen und endlich wieder runterzukommen.  

Welche Gesundheitsauflagen müsst ihr befolgen?

Es sind zu viele, um sie hier aufzuzählen. Wir sind aber unter anderem gezwungen, die Kinderdorffamilien genauso unterzubringen, wie sie in ihren Kinderdörfern untergebracht sind. Um ein Beispiel zu nennen: Das SOS-Kinderdorf Ostuni kommt jedes Jahr mit ungefähr vierzig Personen. Normalerweise haben sie gemeinsam einen Bungalow und ein paar Zelte. Dieses Jahr müssen wir ihnen fünf Bungalows zur Verfügung stellen, denn jede Familie muss praktisch für sich untergebracht werden. Das ist einerseits natürlich eine logistische Herausforderung. Was in meinen Augen jedoch viel schlimmer ist: Es darf zwischen den Gruppen der verschiedenen Kinderdörfer und Familien kaum Kontakt geben. Außerdem können wir in diesem Jahr das übliche Unterhaltungsprogramm und die Freizeitteams aufgrund der strengen Auflagen nicht bieten. Denn wir müssten ja für jede Familie einen eigenen Freizeitbetreuer zur Verfügung stellen. Das ist finanziell und organisatorisch nicht denkbar.

Wir sind außerdem verpflichtet, die Unterkünfte vor der Ankunft jeder Gruppe gründlich zu desinfizieren und die Feriengruppen müssen dies täglich in ihrer eigenen Unterkunft wiederholen. Unsere Putzfrauen müssen dreimal täglich alle hygienischen Einrichtungen, aber auch den Spielplatz und gemeinsam genutzte Spielgeräte reinigen. Das alles ist ein erheblicher organisatorischer Aufwand. Und es besteht natürlich Maskenpflicht ab sechs Jahren – in geschlossenen Räumen, wenn der Kontakt zu anderen Familien oder Außenstehenden nicht vermeidbar ist. Im Freien besteht die Maskenpflicht bei uns in Trentino nur dann, wenn der Mindestabstand von zwei Metern nicht eingehalten werden kann.

"Die BetreuerInnen sind verpflichtet, ständig den gesundheitlichen Zustand der Kinder zu überprüfen und Fieber zu messen."

Was passiert, wenn ein Kind trotz aller Vorkehrungen Krankheitssymptome zeigt?

Die BetreuerInnen sind verpflichtet, ständig den gesundheitlichen Zustand der Kinder zu überprüfen und Fieber zu messen. Sie müssen täglich per Selbsterklärung versichern, dass sie und die Kinder symptomfrei sind. Wenn trotz der vielen Vorsichtsmaßnahmen ein Kind Symptome entwickeln sollte, die auf Corona hinweisen, muss es sofort unter Quarantäne gestellt werden. Wir müssen ein Zimmer mit eigenem WC reservieren und sofort eine ganze Reihe von Ämtern einschalten, die dann eine ärztliche Untersuchung vor Ort durchführen.

Wie werden die Kinder dieses besondere Camp mit all den strengen Vorkehrungen erleben?

Der Kreativität freien Lauf lassen: Für genügend Freizeitspaß ist in Caldonazzo auch während der Corona-Krise gesorgt. Foto: Michela Morosini

Sie werden sicher das Camp und den Strand für sich haben. Aber es ist kein normales Jahr. Das „normale Caldo“ ist was Anderes. Ein Camp ist normalerweise das Miteinander, gemeinsam etwas erleben, die Freundschaft zu den anderen Kindern. In diesem speziellen Fall ist das mit den sehr strengen Sicherheitsmaßnahmen schlicht kaum möglich. Die Kollegen aus den Kinderdörfern werden sich aber um Freizeitaktivitäten kümmern und sicher auch Ausflüge und Wanderungen machen. Und wir vom Caldonazzo-Team stellen den Kinderdorffamilien natürlich alles zur Verfügung, was sie für eine schöne Ferienzeit brauchen: Bastelmaterialien, Basketbälle, Volleybälle, Tischtennis und vieles mehr. Und das Wichtigste ist ohnehin, dass wir mitten in der Natur sind und die Kinder den See direkt auf dem Gelände haben.

"Ich hoffe einfach, dass es uns gelingt, dass die Kinder schöne, unbeschwerte Ferien verbringen können, auch wenn das nicht das übliche Caldonazzo-Erlebnis sein wird."

Wie geht es dir nun, kurz vor Start des Camps?

Ich fühle mich jetzt sicher, die wichtigsten Punkte sind geklärt. Ich hoffe einfach, dass es uns gelingt, dass die Kinder schöne, unbeschwerte Ferien verbringen können, auch wenn das nicht das übliche Caldonazzo-Erlebnis sein wird. Und es bleibt die große Hoffnung, dass im nächsten Jahr auch wieder die Kinder aus dem übrigen Europa zu uns kommen können.

 

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Titelfoto: Michela Morosini

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