Vor Kurzem rief ich eine Familie an und hörte Geschrei im Hintergrund. Die Mutter erzählte mir, dass ihr Mann sie bei einem Streit vor den Kindern geschlagen hatte. Ich sprach auch eine ganze Weile mit dem Vater und konnte ihn beruhigen. Es tat ihm sehr leid und er wusste, was die Gründe für seine plötzliche Aggression waren: Frust, Verzweiflung und Hilfslosigkeit, weil er seine Familie seit der Coronakrise nicht mehr ernähren kann. Seitdem bleiben ihnen nur die Lebensmittel aus unseren Hilfspaketen.
Ich kenne diese Familie gut, als Psychologin der SOS-Kinderdörfer Nordmazedonien betreue ich sie schon lange. Sie hatten schon vor der Pandemie viele Probleme. Doch häusliche Gewalt war nie eines davon!
Gewaltprävention per App
Gerade jetzt, wo die Fälle von häuslicher Gewalt drastisch zunehmen, gibt es ein riesiges Problem: Die wenigsten Kinder haben ein Handy, mit dem sie im Notfall Hilfe rufen können. Deshalb geben wir ihnen Mobilgeräte mit einer Notrufapp. In diesem Fall hatten wir Glück: Ein Nachbar hatte schon die Polizei verständigt und zufällig rief ich die Familie im richtigen Moment an, um mich wie gewohnt nach dem Rechten zu erkundigen.
Wir bekommen täglich viele Anrufe von verzweifelten Eltern, denen die Sorgen über den Kopf wachsen und die dringend Hilfe benötigen. Doch wir kommen einfach nicht mehr hinterher.
Es ist fast unmöglich, nachts einzuschlafen, nachdem du auch nur einer Mutter sagen musstest, dass sie auf eine Warteliste kommt. Ich bin professionelle Psychologin, aber ich bin auch ein Mensch – und dieser menschliche Teil kann dich zerbrechen.
Die Familien brauchen uns jetzt dringender denn je. Wir stecken alle gemeinsam in dieser Krise. Nur gemeinsam werden wir sie durchstehen.
Ihre Valentina Dimovska
Leitende Psychologin der SOS-Familienhilfe in Nordmazedonien