"Ich hatte jeden Tag Angst um mein Leben", sagt der 16-jährige Kevin über seine Flucht aus Nigeria. Heute lebt er im Clearing-house der SOS-Kinderdörfer in Salzburg. Dort lernt er Deutsch und hofft darauf in den nächsten Jahren einen Schulabschluss zu machen. Doch die Erinnerung an seine Flucht beschäftigen ihn immer wieder. Hier erzählt er von den schrecklichen Erlebnissen.
"Ich komme aus einem Dorf in Nigeria. Meine Eltern sind bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Damals war ich fünf. Deswegen bin ich bei meiner Tante aufgewachsen. Ich hatte eine schöne Kindheit, bis die Boko-Haram-Milizen in unser Dorf kamen. Sie haben einfach Leute erschossen. Wir selber wurden drangsaliert und bedroht. Als Boko Haram mich und meinen besten Freund rekrutieren wollten, sind wir abgehauen. Alles, was wir hatten, war etwas Geld, was meine Tante uns zusteckte. Zuerst sind wir in Richtung Libyen losgelaufen, durch die Wüste. Wir hatten nicht einmal genug zu trinken dabei und fast nichts zu essen. Ab und zu haben uns Leute etwas zu trinken gegeben. Sonst hätten wir nicht überlebt.
Mit dem Geld von meiner Tante haben wir uns einen Platz in einem kleinen Boot gekauft. Obwohl es klein war, waren über 100 Leute darin. Nach tagelanger Fahrt, dann die Katastrophe: Das Boot kenterte. Wir konnten uns mit letzter Kraft selber retten. Für etwa 20 Flüchtlinge kam jede Hilfe zu spät. Wir hatten keine Chance, sie aus dem Meer herauszuziehen. Kurz darauf setzten bei einer schwangeren Frau die Wehen ein. Sie hat die Geburt leider nicht überlebt. Doch zum Glück ging es dem Baby gut. Wir waren alle geschwächt von der tagelangen Überfahrt. Leider war mein Freund so schwach, dass er vor Erschöpfung ins Meer gefallen und ertrunken ist. Es war schrecklich für mich, meinen besten Freund ertrinken zu sehen. Insgesamt waren wir vier Tage lang auf dem Meer unterwegs. Ohne Essen, ohne etwas zu trinken, müde und völlig erschöpft. Dann endlich kam die Erlösung, als wir in Italien ankamen.
In Italien angekommen
In Italien angekommen wollte ich einfach nur soweit wie möglich weg vom Meer, damit man mich nicht mehr zurückschicken konnte. Ich wollte einfach irgendwo ankommen, Hauptsache in Sicherheit sein. Alles andere war mir egal. Ich bin viele Kilometer durch Italien gelaufen, dann mit einem Zug gefahren. Die Polizei hat mich in Wien aufgegriffen und mich ins SOS-Clearing-house nach Salzburg gebracht. Es hat einige Tage gedauert bis ich mich erholt hatte. Ich war zu erschöpft, fast wie tot. Auch heute habe ich immer wieder schlechte Phasen. Ich fühle mich fiebrig, zittere am ganzen Körper. Dann denke ich an meinen besten Freund und auch an meine Tante, die vor zwei Wochen starb. Es ist niemand mehr aus meinem früheren Leben da.
Im Clearing-house
Zum ersten Mal seit langen habe ich so etwas wie Hoffnung. Hier in Österreich ist es ruhig und friedlich. Es gibt keinen Krieg. Es ist wunderbar. Ich bekomme hier Deutschunterricht. Das ist wichtig, da ich schnell Deutsch lernen will, damit ich gut in der Schule werde. In Nigeria war ich nicht in der Schule. Deswegen kann ich kaum Lesen und Schreiben und so ist es sehr schwer für mich Deutsch zu lernen. Ich freue mich neue Freunde gefunden zu haben. Mit ihnen spiele ich z.B. Fußball. Seit neuestem spiele ich sogar in einer englischen Theater-Gruppe in Salzburg mit. Das macht mir sehr viel Spaß.
Zukunft in Europa
Für meine Zukunft wünsche ich mir ein einfaches und vor allem friedliches Leben. Ich möchte meine Talente nutzen und das Beste aus meinem Leben machen. Das war in Nigeria nicht möglich. Aber hier in Europa will ich es schaffen. Wenn ich mich anstrenge, kann ich einen Schulabschluss machen und später eine Lehre beginnen. Und für diesen Sommer habe ich mir auch schon etwas vorgenommen: Ich kaufe mir eine Lederhose. Ich bin jetzt in Österreich, also brauche ich auch eine Lederhose."