Ihnen ein Lächeln zu schenken, ist etwas Großes

Zuversicht im tristen Alltag: Im Flüchtlingslager nahe Crotone in Italien leben rund 200 minderjährige Geflüchtete, die ohne ihre Familien nach Europa gekommen sind. Sie haben oft alles verloren und Traumatisches erlebt. Unsere Gruppen-Labs, die auf Bewegung basieren, geben ihnen das Gefühl von Verbundenheit, Lebendigkeit und Unbeschwertheit zurück – wenn auch nur für den Moment.

Es hat 35 Grad im Schatten. Auf einem asphaltierten Platz, der von großen Bäumen gesäumt ist, versammeln sich einige Jugendliche. Zwei junge Frauen mit T-Shirts der SOS-Kinderdörfer legen bunte Bälle, Tücher und Hütchen aus. Ein Kontrast zu der tristen Umgebung voller Betonhäuser und Container, die von stacheligem Maschendrahtzaun umgeben sind. 

Die Aufwärmrunde für das Bewegungs-Lab startet. Foto: Alea Horst

Um zehn Uhr morgens geht es dann los: Das Bewegungs-Lab der SOS-Kinderdörfer im Flüchtlingslager Crotone nimmt Fahrt auf: Unter Anleitung der Mitarbeiter:innen finden verschiedene Spiele statt, bei denen Teams gemeinsam sportliche Herausforderungen meistern und sich mit Eifer in den Wettkampf stürzen.

Francesca Barilari strahlt: Sie freut sich, wenn die Jugendlichen Spaß an den Aktivitäten haben. Foto: Alea Horst

Rundherum versammeln sich neugierige Zuschauer:innen, die gespannt das Spektakel beobachten und die Spieler:innen klatschend anfeuern. Erschöpft und verschwitzt, aber mit strahlenden Gesichtern verlassen die Jugendlichen nach anderthalb Stunden das Feld.  

"Wenn ich die unbegleiteten, minderjährigen Geflüchteten lachen sehe, erfüllt das mein Herz mit Glück”, berichtet Francesca Barilari, die als Erzieherin für die SOS-Kinderdörfer in Kalabrien arbeitet und gemeinsam mit ihrer Kollegin, Aouatif Mounchyne, einer kulturellen Mediatorin, jeden Montag und Mittwoch die psychosozialen Aktivitäten im Flüchtlingslager leitet.

“Ein Lächeln senkt den Stresspegel und stoppt das negative Gedankenkarussell.” 

AOUTIF MOUNCHYNE, MITARBEITERIN DER SOS-KINDERDÖRFER

Aouatif Mounchyne erklärt, dass durch die gemeinsamen Gruppenübungen auch ein Gefühl der Zugehörigkeit und Verbundenheit entsteht, da alle zusammenarbeiten, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Die jungen Menschen sind dadurch Teil von etwas und gehören dazu.

 

High-Five: Aouatif Mounchyne motiviert die Gruppe. Foto: Alea Horst

Die Minderjährigen, die ohne Familie hierhergekommen sind, haben unterschiedliche Geschichten, teilen aber die gleichen Ängste und Sorgen: "Sie haben eine lange Reise hinter sich, bis sie unsere Küste erreichen. Dabei verlieren sie meistens ein Stück von sich selbst", betont Francesca Cardamone, die seit 2017 für die SOS-Kinderdörfer in Kalabrien arbeitet, erst als Psychologin, heute als Projektkoordinatorin.  

Aliou*, 17, aus Burkina Faso blickt nachdenklich aus dem Fenster. Foto: Alea Horst

Viele von ihnen sind schwerst traumatisiert und haben vor und während ihrer Flucht Schreckliches erlebt, wie Aliou*, 17, aus Burkina Faso berichtet: "Ich bin wegen des Krieges weggelaufen. Mein Vater wurde getötet. Ich bin zuerst mit meiner Mutter weggelaufen, dann habe ich alleine das Land verlassen. Bis jetzt habe ich keine Neuigkeiten über meine Familie, weil ich kein Geld habe, sie anzurufen." Das ist nur eine von vielen bewegenden Geschichten, die verdeutlichen, dass die Menschen in ihrer Heimat und auf der Flucht oft Schreckliches erlebt haben. 

Abwechslung im tristen Alltag 

Im Flüchtlingslager gibt es keinen Fernseher, kein Internet, keine Schule und keine Freizeitaktivitäten – nichts, was ablenkt und die oftmals schwerst traumatisierten Kinder auf andere Gedanken bringt. Sie dürfen das Lager nicht verlassen – sie leben übergangsweise in einem Container, in dem sie mit drei anderen Jugendlichen auf engstem Raum schlafen. Ihr Horizont besteht aus Beton und meterhohen Zäunen.

Die Bewegungs-Labs sind daher ein Ort der Zuflucht, in dem die Heranwachsenden für kurze Zeit alles hinter sich lassen – und eine mentale Auszeit nehmen können. Neben einem Sprachkurs sind sie oft die einzige Aktivität im eintönigen Lager-Alltag, der aus Warten auf eine bessere Zukunft besteht.  

“Das Bewegungs-Lab der SOS-Kinderdörfer ist sehr wichtig für mich. Denn ansonsten gibt es den ganzen Tag nichts zu tun."

Aliou, 17, aus Burkina Faso

Das Konzept der 13 verschiedenen Kurse, die je nach Bedarf angeboten werden, basiert auf einer Kombination aus psychosozialer Unterstützung und Gemeinschaftstheater. Um eine integrative Umgebung zu schaffen, in denen Menschen unterschiedlichster Herkunft zusammenkommen können, finden sie hauptsächlich nonverbal statt.  

"Wir möchten, dass sie sich wieder als Mensch fühlen" 

Die Kurse zielen in erster Linie darauf ab, die Lebenskompetenzen der jungen Menschen zu stärken, ihre Resilienz zu verbessern und einer Retraumatisierung entgegenzuwirken. Hier wird den jungen Menschen etwas zugetraut und sie können über sich hinauswachsen. Dabei steht vor allem die Förderung von Fähigkeiten in den Bereichen Selbstvertrauen, Entscheidungsfindung, Stressbewältigung, Emotionsregulation und Beziehungsaufbau im Mittelpunkt. Aber auch Spaß und Freude kommt nicht zu kurz. 

"Die Möglichkeit, ihnen ein Lächeln zu schenken, ist etwas Großes. Denn sie sind nicht in der Lage, zu träumen, weil ihr Leben in der Schwebe ist. Sie wissen nicht, wie das Morgen aussehen wird. Sie haben keine Hoffnung. Deshalb ist es so wichtig, dass wir da sind und da bleiben – und sie daran erinnern, dass sie trotz allem Menschen sind", betont Projektkoordinatorin Francesca Cardamone. 

Im Interview teilt die Projektkoordinatorin Francesca Cardamone ihre Erfahrungen von vor Ort und berichtet über die Situation im Flüchtlingslager.

* Namen geändert

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