Für die traumatisierten Kinder in den beiden SOS-Kinderdörfern in Damaskus ist Sport genauso wichtig wie die Therapiestunden beim Psychologen. Für viele seiner Jungs ist Majd (25) dabei mehr als ein Trainer − eine wichtige Vaterfigur, zu der sie aufschauen.
Sobald Majd mit einem Fußball um die Ecke biegt, gibt es kein Halten mehr. Binnen weniger Sekunden ist der große, gut gebaute junge Mann umringt von einer Traube Jungs. Sie können es gar nicht erwarten, dass der 25-Jährige mit ihnen auf den Sportplatz geht und das nächste Spiel anpfeift. Majd teilt die Bande auf: die eine Hälfte ist Real Madrid, die andere der FC Barçelona – und, wen wundert’s, die Teams bestehen ausschließlich aus Ronaldos und Messis.
Der "Coach" schiebt sich seine Trillerpfeife zwischen die Zähne – und los geht’s. Die Kinder jagen unter lautem Geschrei dem Ball hinterher. Diese Szene könnte sich genauso gut auf irgendeinem Fußballplatz irgendwo in Bayern abspielen. Und nicht in Damaskus in einem Land, das seit sieben Jahren von einem grausamen Bürgerkrieg heimgesucht wird. Die meisten der jungen Spieler, die da über den Platz toben, haben keine Eltern mehr und tragen einen zentnerschweren Rucksack voll mit traumatischen Erlebnissen.
"Beim Training lernen sie Disziplin und Toleranz"
Beim Fußball können die Kinder abschalten. "Sport ist ein Katalysator", sagt Majd. "Er hilft ihnen dabei, Wut und Aggressionen abzubauen." Mehrmals die Woche steht deshalb Sport auf dem nachmittäglichen Stundenplan in den beiden SOS-Kinderdörfern bei Damaskus. "Ich will unseren Kindern beibringen, dass Sport genauso wichtig ist wie Studieren", erklärt Majd. "Beim Training lernen sie Disziplin und Toleranz. Diese Lektionen helfen ihnen auch dabei, ihre psychischen Probleme in den Griff zu kriegen." Wie sehr, das sieht der 25-Jährige bei den elfjährigen Zwillingen Murad und Mazen*, mit denen er gerade Elfmeter übt.
Die beiden sind im Alter von zwei Jahren ins Kinderdorf gekommen. Sie gelten als verhaltensauffällig und brauchen eine besonders intensive Betreuung. Ihre Mutter starb bei der Geburt, die ersten beiden Lebensjahre müssen für die Kinder eine einzige Odyssee gewesen sein, die ihre Psyche für immer angeknackst hat.
SOS hielt einige Zeit den Kontakt zu ihrem leiblichen Vater aufrecht. Doch der Krieg machte Murad und Mazen zu Vollwaisen: Ihr Vater starb bei einem Bombenanschlag, seither sind ihre Probleme noch größer geworden.
Ein Mann im Team tut den Kindern gut
Deshalb sind die Sportstunden für die Kinder eine willkommene Abwechslung. "Wir trainieren alle möglichen Sportarten", sagt Majd. "Und machen lustige Spiele oder Ausflüge, wenn es die Sicherheitslage zulässt." Für den 25-Jährigen ist Trainer im SOS-Kinderdorf mehr als nur ein Job. "Hier in Syrien herrscht so eine große Not, so viele Menschen haben das Land verlassen. Ich bleibe hier, um zu helfen."
Murad, Mazen und die anderen Jungs schauen ihren Coach ehrfürchtig an, während er erzählt. "Ich bin als Mann wichtig im Team", sagt er. "Viele sprechen mit mir über ihre toten Eltern und betrachten mich als neuen Papa." Wenn die Kinder traurig seien, dann lenke er sie ab. "Wir sind doch eine Familie", sagt Majd, lacht, und pfeift das Spiel ab. Real und Barça trennen sich heute unentschieden.
* Namen zum Schutz der Kinder geändert
Dieser Artikel erschien in der Passauer Neuen Presse im Rahmen der Weihnachtsaktion "Ein Licht im Advent" zugunsten der SOS-Kinderdörfer.