Foto: Sharon McCutcheon

"Das Wichtigste ist, dass ich geliebt werde!"

LGBTIQ*-Rechte von Kindern und Jugendlichen: Pilotprojekt der SOS-Kinderdörfer in Argentinien

Mit einem Pilotprojekt setzen sich die SOS-Kinderdörfer in Argentinien für LGBTIQ*-Rechte von Kindern und Jugendlichen ein (LGBTIQ: Lesbian Gay Bisexual Trans Intersex Queer).

Bereits 2016 fiel der Startschuss: SOS-Mitarbeiter*innen wurden an allen Standorten für das Thema sexuelle Vielfalt sensibilisiert, Workshops richteten sich an Kinder und Jugendliche in den SOS-Kinderdörfern sowie an Familien in den Gemeinden. Die Aufklärungskampagne traf dabei auf homophobe Ressentiments in einer stark von klassischen Rollenbildern und Machismo geprägten Gesellschaft - Maximo Agüero, Koordinator für Kinderschutz und Verantwortlicher für LGBTIQ*, im Interview.

Wie steht es um LGBTIQ*-Rechte in Argentinien?

Argentinien ist ein Land, das auf gesetzlicher Ebene viele Fortschritte erzielt hat. Das Gesetz bezüglich Geschlechtsidentität (2012), Adoptionen und die gleichberechtigte Ehe (2010) waren ein Durchbruch hinsichtlich der LGBTIQ*-Rechte. Auf politischer Ebene und in der Gesellschaft sind die Ergebnisse jedoch immer noch sehr unbefriedigend. Homophobe Gewalt ist weiterhin verbreitet: In der Stadt Buenos Aires, so teilte das Ombudsmann-Büro 2018 mit, gibt es alle drei Tage einen Angriff gegen eine LGBTIQ*-Person, bis hin zum Mord.

Wie waren die Reaktionen auf die Aufklärungskampagne der SOS-Kinderdörfer?

Die Reaktionen waren sehr unterschiedlich, es gab zum einen Offenheit, aber auch diejenigen, die sich dem Thema verweigerten und dieselbe macho-patriarchalische Kultur beibehielten, mit denen sie aufgewachsen waren. In einigen Fällen haben Workshop-Teilnehmer ihre anfängliche Ablehnung aufgegeben und dabei die eigene Geschichte reflektiert, zum Beispiel eine Mutter in Rosario, die durch die SOS-Familienhilfe unterstützt wird: Zunächst widersetzte sie sich gegen alles, was im Rahmen des Workshops angesprochen wurde, doch schlussendlich änderte sie ihre Haltung und erzählte, wie ihr Bruder von der Familie verstoßen und als "krank" bezeichnet wurde, nachdem er seine Transidentität offenbart hatte. Dies ist nur eines von vielen Beispielen.

Wie haben die SOS-Mitarbeiter*innen reagiert?

Auch hier mussten wir viele Hindernisse überwinden, da kontinuierlich die eigenen Stereotype und die eigene Erziehung hinterfragt und überdacht werden mussten. Grundsätzliche Offenheit gab es jedoch dafür, dass Kinder im SOS-Kinderdorf ihre Identität frei und ohne Vorurteile ausdrücken können. Immer wieder gab es Fragen und Unsicherheit, wie man ein Kind oder Jugendlichen in seiner freien Identitätswahl unterstützen kann. Fragen wie beispielsweise: Wie verhalte ich mich als Betreuerin? Was soll ich sagen? Wie begleite ich diesen Prozess? Nach und nach haben sie sich diese Frage selbst beantwortet und gemerkt, wie wichtig es ist, dies selbst zu reflektieren.

Wie haben die Jugendlichen das Thema LGBTIQ angenommen?

Auch bei den Jugendlichen sind wir auch auf die beiden Pole gestoßen: Es gab diejenigen, die sich aus tiefster Überzeugung für LGBTIQ-Rechte engagierten. Sie wurden selbst zu Multiplikatoren, um Workshops in Schulen und Vereinen zu organisieren und so Gleichaltrige anzusprechen. Es gab aber auch genau die entgegengesetzten Reaktionen: Solche die auf ihrer homophoben Haltung beharrten, die auf einer patriarchalen Erziehung und auf ausgeprägten Vorurteilen beruht.

Und die Kinder?

Als wir mit den jüngsten Kindern arbeiteten, wiederholten auch sie zunächst dieselben Stereotype wie viele Erwachsene. Aber sie zeigten eine unglaubliche, beneidenswerte Offenheit, wenn sie dazu aufgefordert wurden, darüber noch einmal nachzudenken. Sie waren dann bereit, ihre Ansichten zu ändern. Zum Beispiel, als sie gemeinsam überlegten, was passieren würde, wenn sie in einer Familie mit gleichgeschlechtlichen Partnern leben würden und sie sich dann selbst fragten: Wer ist der Vater, wer die Mutter? Wer würde kommen, um mich von der Schule abzuholen? Was würden die andere denken? Aber am Ende sagten sie alle: Das Wichtigste ist, dass ich geliebt werde!

Gab es regionale Unterschiede? War es etwas anderes, über LGBTIQ*-Rechte in Oberá im Norden Argentiniens zu sprechen als zum Beispiel in Luján, eine Stunde von der Hauptstadt Buenos Aires entfernt?

Ja, natürlich haben wir hier einen Unterschied bemerkt! In den ländlichen Gegenden hat man das verschlossene und tief verwurzelte konservative Denken gespürt. Dennoch gab es eine gewisse Offenheit bezüglich der Fürsorge und Respekt für andere.

Wie geht es weiter?

Das Engagement für die Rechte von LGBTIQ*-Kindern und -Jugendlichen ist ein kontinuierlicher und konstanter Prozess. Dabei geht es um die Grundlagen der Persönlichkeitsbildung und der Identität. Wir werden unsere Arbeit fortzusetzen, um ein Umfeld zu schaffen, das frei von jeglicher Form von Gewalt ist, basierend auf der Geschlechtsidentität und der Wahl in Bezug auf die Sexualität.

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