Kinder von der Straße holen

Mariam (13) lebte in Äthiopien auf der Straße. Jetzt blickt sie voller Zuversicht in die Zukunft

In Äthiopien leben rund 150.000 Kinder auf der Straße. Auch Mariam war ein Straßenkind – bis sie Obdach, Betreuung und Schutz fand. Um Kinder und Jugendliche von der Straße zu holen, arbeiten die SOS-Kinderdörfer in Äthiopien mit einer lokalen Partnerorganisation zusammen.

Mariam*, 13, zeichnet ein buntes Haus mit Garten, Wäscheleine und Spielplatz auf ihr rosa Papier und es ist klar, dass sie dabei an ihr Zuhause denkt. Drei Mal pro Woche besucht Mariam mit 15 anderen Kindern den Kunstkurs in einer Einrichtung für Straßenkinder in Äthiopien, um zu zeichnen, was ihr in den Sinn kommt. "All die Sorgen in meinem Kopf verschwinden, wenn ich male." Mariam weiß nicht genau, wie lange sie auf der Straße gelebt hat - vielleicht eine Woche, sagt sie, oder auch länger. Sie ist meist sehr ernst, lächelt kaum. 

Mariam wurde zusammen mit anderen Straßenkindern im Zentrum der Tilahunen Charity Association (TCHA) aufgenommen. Die lokale Hilfsorganisation arbeitet seit 2021 mit den SOS-Kinderdörfern in Äthiopien zusammen, um die Rechte von Kindern zu schützen, die die elterliche Fürsorge verloren haben oder davon bedroht sind. Viele von ihnen haben psychischem und physischem Missbrauch erfahren. Hier bekommen die Neun- bis 17-Jährigen Unterkunft, Essen, Bildung, ärztliche Hilfe und Gruppen- oder Einzelberatungen. Sozialarbeiterin Netsanet Yifru, die die Einrichtung leitet, kennt die Ängste und das Leid der Kinder. "Mariam weinte sehr, als sie ankam“, erzählt sie. Das Mädchen sei von ihrer Familie getrennt und von ihren eigenen Verwandten misshandelt worden. 

Ein buntes Haus mit Garten - ein Zuhause: Mariam malt im Kunstkurs, wovon sie träumt. Fotos: Petterik Wiggers

Vom Stiefvater verstoßen, als Hausangestellte misshandelt 

Mariam hatte eine normale Kindheit, bis ihre Mutter vor zwei Jahren einen neuen Mann heiratete. Doch Mariams Stiefvater lehnte das Mädchen ab. Er schlug ihre Mutter und gab Mariam die Schuld dafür. So schickte Mariams Mutter ihre Tochter zu ihrer Schwester, Mariams Tante, in einen anderen Teil Äthiopiens. Von dort wurde Mariam ohne das Wissen ihrer Mutter zu einer anderen Familie geschickt, um als Hausangestellte zu arbeiten. Eine Familie, von der Mariam sagt, dass sie sie schlecht behandelte. "Ich bin früh morgens aufgestanden, um das Haus zu putzen, das Geschirr zu waschen und zu kochen", sagt Mariam fast flüsternd. "Tagsüber habe ich mich um das Baby gekümmert und die Wäsche gewaschen. Abends habe ich dann die Betten gemacht, das Haus geputzt, die Möbel abgestaubt und schließlich habe ich meine dünne Matratze genommen und sie auf dem Küchenboden ausgebreitet und geschlafen."

Als ihr Schläge angedroht wurden, lief Mariam davon. "Meine Mutter wollte nie, dass ich in einem fremden Haus arbeite. Mein Stiefvater zwang sie, mich von zu Hause wegzuschicken." 

Das Street Children Consortium schätzt, dass in Äthiopien über 150.000 Kinder auf der Straße leben. Sie überleben, indem sie betteln, Schuhe putzen oder andere Gelegenheitsjobs verrichten. Die Kinder leben im Elend und schlafen vor Geschäften, auf Bürgersteigen, an Bushaltestellen, auf Marktplätzen – dort sind sie Schikanen, Ausbeutung, Belästigung, sexueller Ausbeutung und Missbrauch ausgesetzt.

"Seit ich hier bin, habe ich aufgehört zu arbeiten. Ich spiele nur noch."

Mariam

Mariam wurde von einem Helfer der Einrichtung zum TCHA-Zentrum gebracht.  "Als ich hierherkam, war das der glücklichste Tag meines Lebens", sagt sie. Im Zentrum fühlt sich Mariam sicher, es verfügt über ein weitläufiges Gelände mit vielen Bäumen und schönen Blumengärten. 

"Die Leute respektieren mich. Ich spiele mit den anderen Kindern und wenn ich müde bin, schaue ich fern. Seit ich hier bin, habe ich aufgehört zu arbeiten. Ich spiele nur noch."

Beim Ball spielen im Hof des Zentrums: Mariam ist meist ernst, doch hier lacht sie.

Viele Kinder sind vom harten Leben auf der Straße gezeichnet. "Einige von ihnen sind sehr jähzornig und schlagen andere Kinder", sagt Sozialarbeiterin Netsanet. "Andere isolieren sich." Vor allem Jungen sind oft schon süchtig nach Zigaretten oder "schnüffeln" die Dämpfe von Benzin oder Klebstoff, wenn sie in die Einrichtung kommen. "Sie suchen Streit, andere wollen weglaufen und zurück auf die Straße.“ Im Zentrum lernen sie andere Bewältigungsstrategien kennen, sie lernen, sich zu beruhigen. "Sie werden selbstbewusster, gesünder und sehen ihre Zukunft positiv." Mariam war nur kurz auf der Straße, doch auch sie war anfangs aggressiv.

Mariam will bei ihren Großeltern leben

Zwei Monate Therapie und Genesung helfen den Kindern, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Danach werden sie wieder mit ihren Familien vereint und können wieder zur Schule gehen. Ihre Eltern oder Verwandten, die sie aufnehmen, werden durch Schulungen gestärkt, damit sie sich besser um ihre Kinder kümmern können. 

Derzeit nehmen 53 Kinder die Tagesbetreuung im TCHA in Anspruch, 18 Kinder sind aus weiter entfernten Orten dort untergebracht. Seit Beginn der Partnerschaft vor zwei Jahren hat das Zentrum 71 Kinder wieder zurück zu ihren Familien gebracht. "Die Familien werden von uns telefonisch und durch Besuche betreut. Wir überprüfen sie gründlich", sagt Netsanet. Ältere Kinder über 17 Jahre, die unabhängig leben wollen, bekommen eine Berufsausbildung und ein Startkapital.

Ein eigenes Bett: Mariam faltet sorgfältig ihre Decke zusammen.

Mariam ist sich nicht sicher, ob sie in das Haus ihrer Mutter zurückkehren möchte. Sie ist noch mit ihrem Stiefvater verheiratet. "Dort gibt es noch drei andere Kinder, und ich möchte nicht, dass meine Mutter meinetwegen geschlagen oder getötet wird. Ich möchte bei meinen Großeltern leben."

"Ich habe gelernt, wie wichtig Bildung ist. Wenn ich erwachsen bin, möchte ich Lehrerin werden."

Mariam

Mariam ist zuversichtlich, dass Netsanet und ihr Team, das wie eine Familie für sie geworden ist, eine Entscheidung treffen werden, die für sie am besten ist.  "Jetzt habe ich Hoffnung. Ich habe eine Zukunft und kann alles tun, was ich mir vorgenommen habe." Und sie hat auch eine Vorstellung, wie ihre Zukunft aussehen soll.

"Ich habe gelernt, wie wichtig Bildung ist. Wenn ich erwachsen bin und mein Studium abgeschlossen habe, möchte ich Lehrerin werden. Ich werde Kinder unterrichten, damit sie klug werden, und während ich sie unterrichte, werde ich selbst mehr lernen."

* Name zum Schutz der Persönlichkeitsrechte geändert

 

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