Mit diesem Vertrauen muss man sorgsam und liebevoll umgehen

Sozialpädagoge Efendi Onay ist seit 21 Jahren in der Migrationsarbeit tätig. Seit März 2022 betreut er in einem ehemaligen Seminarhaus der SOS-Kinderdörfer 51 minderjährige Flüchtlinge und elf Betreuerinnen aus der Ukraine, die zuvor in ihrer Heimat in einer staatlichen Einrichtung untergebracht waren und von dort evakuiert werden mussten.

Können Sie sich noch an die Ankunft erinnern?

Die Kinder und Jugendlichen sind mit dem Bus angekommen, nach einer zweitägigen Reise, die sehr unsicher war. Einige hatten Bauchschmerzen, andere waren dehydriert. Es muss eine Odyssee gewesen sein. Ich habe Saft und Wurstsemmeln verteilt. Mir war es wichtig, dass sie sich so schnell wie möglich nicht mehr fremd fühlen. Die Kinder sind in der Ukraine nach einer Entscheidung von Sozialbehörden von ihren Eltern getrennt worden. Und jetzt auch noch von ihrer Heimat. Sie wurden nicht gefragt, was sie wollen, sondern mussten das Land verlassen. Ich habe Ihnen erklärt, dass wir jetzt eine Zeit zusammen verbringen werden, dass sie immer zu mir kommen können und ich für sie da bin. Und genau daran habe ich mich gehalten. Das sind Kinder, die uns anvertraut wurden. Sie haben sonst niemanden. Das ist eine große Aufgabe. Mit diesem Vertrauen muss man sorgsam und liebevoll umgehen.

Waren Sie von Anfang an auf langfristige Hilfe eingestellt? 

Nein, wir sind erst von einer schnellen Nothilfe ausgegangen. Wir dachten, der Krieg dauert nicht lange. Ich habe aber schnell gemerkt, ich darf hier nicht kurzfristig denken, sondern muss langfristig Pläne und Perspektiven erarbeiten. Einige Kinder haben mich beispielsweise gefragt, warum sie Deutsch lernen sollen, wenn sie bald wieder zurückgehen. Und ich habe geantwortet: „Stell Dir vor, das bringt Dir etwas für später, das ist eine Investition.“ Und auch wir haben investiert, in Personal beispielsweise. Wir haben nach wenigen Wochen ein Team aus österreichischen Kolleginnen und Kollegen aufgebaut, das die Integration der Kinder und der Betreuerinnen unterstützt.

Eine emotionale Verbundenheit: Efendi ist hier in der Nähe aufgewachsen und hat als Kind bereits auf diesem Rasen Fußball gespielt. Foto: SOS-Archiv

Mit welchen Herausforderungen mussten Sie kämpfen?

Die Kinder kommen aus einer anderen Kultur und haben Schlimmes erlebt. Und wir haben gemerkt, dass sie sich als Gäste fühlen, also alles andere als ungezwungen. Sie sind in Zweierreihen zum Essen gekommen, in Zweierreihen wieder weggegangen, völlig unnatürlich für Kinder. Einige Kinder haben auch Essen aus dem Speisesaal auf ihrem Zimmer versteckt. Nicht weil sie hungrig waren, sondern aus Angst, dass sie nichts mehr bekommen.

Wie haben Sie es geschafft, dass die Kinder sich hier wohl fühlen?

Indem wir kein einziges Kind versucht haben zu überfordern. Wir waren nie vorschnell. Wir haben ihnen die Zeit gegeben, die sie gebraucht haben. Mit stets vorsichtigen Schritten haben wir ihnen gezeigt, dass sie nicht allein sind und auf uns zählen können. Das war aber ein Prozess, das hat sich Stück für Stück entwickelt. Natürlich gibt es gerade bei den Älteren immer noch viele Fragezeichen. Einige wollen eine Zukunft hier, andere wollen nur zurück und blockieren alles. Das sind aber wenige. 

Woran merken Sie, dass die Kinder und Jugendlichen bei Ihnen angekommen sind?

Ich merke am Haus, es geht immer lockerer zu, die Kinder entspannen sich und fühlen sich immer mehr zuhause. Die Kinder laufen in Socken herum, machen Unordnung. Das Haus hier wird zu ihrem Zuhause. Das hat mehrere Faktoren: einmal die Zeit, dann der Spracherwerb und natürlich auch die neue Zuwendung, die sie hier durch uns erfahren. Letzte Woche kam der achtjährige Andre zu mir. Er geht hier in die Grundschule. Von der Lehrerin hat er einen 10-Euro-Gutschein bekommen, für einen Rucksack. Den hat er mir stolz gebracht und gesagt: „Efendi, kannst Du damit losgehen und für mich einen Rucksack kaufen?“ Dazu muss man wissen, dass Andre bei seiner Ankunft schwierig war, ihm war alles egal, wir haben sogar überlegt, ob er psychologische Hilfe braucht. Dieses Kind organisiert sich jetzt selbst für die Schule das Geld für einen Rucksack. Das zeigt mir: Sie öffnen sich immer mehr. 

Was motiviert Sie, diese intensive Arbeit umzusetzen? 

Das klingt klischeehaft, aber es sind die strahlenden Augen, das Lachen und die Liebe der Kinder. Aber auch, dass die Kolleg:innen ihre Arbeit gerne machen, motiviert sind und wir eine solidarische Gemeinschaft sind. Auch die ukrainischen Betreuerinnen verdienen wirklich Hochachtung! Sie haben einen tollen Job gemacht, sie haben in dieser schlimmen Situation die Kinder großartig betreut. Das alles ist bei allen Herausforderungen, die wir haben, ein Privileg für mich. Wir gestalten Zukunft. Ein Handwerker baut einen Schrank. Das geht schnell. Bei mir dauert es länger, bis man etwas sieht, aber ich habe viele ehemalige Kinder, mit denen ich noch Kontakt habe und auf deren Entwicklung ich stolz bin.

Wie schaut die Zukunft dieses Hauses aus?
Das ist nach wie vor nicht klar. Das Einzige, was wir wissen, ist, dass die Finanzierung nur noch bis Mitte des Jahres gesichert ist. Aber wir hoffen natürlich, dass wir die Kinder und Jugendlichen hier auch darüber hinaus betreuen können. Ich wünsche mir einfach für die Zukunft, dass die Kinder weiterhin im Mittelpunkt stehen.

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