16. Oktober 2015 | NEWS

Interview: Zurück von der Flüchtlingsroute

SOS-Mitarbeiterin Katharina Ebel erzählt von ihren Eindrücken

Noch immer fliehen täglich tausende Menschen über den Balkan nach Europa. Unter ihnen sind auch unzählige Familien und zunehmend auch Kinder, die alleine auf der Flucht sind. Hinter den Menschen liegen Tage voller Strapazen und Gefahren. SOS-Mitarbeiterin Katharina Ebel war in den vergangenen zwei Wochen auf der Flüchtlingsroute unterwegs – von der Grenze Syriens über den Balkan bis nach Deutschland. Sie hat mit vielen Flüchtlingen, aber auch mit den Helfern und Experten vor Ort gesprochen. Nun ist sie wieder in Deutschland. Im Interview berichtet sie über ihre Eindrücke von vor Ort.

 

SOS-Mitarbeiterin Katharina Ebel im Gespräch mit Kroatiens Innenminister Ranko Ostojic. Foto: Ulrich Kleiner

Frau Ebel, Sie waren zwei Wochen auf der Flüchtlingsroute unterwegs. Können Sie uns Ihre Reise kurz beschreiben?

 

Das, was ich auf dieser Route erlebt habe, war extrem unterschiedlich. In Syrien dominiert das Leid, das direkt vom Krieg ausgelöst wird. Viele traumatisierte Kinder, viele zerstörte Gebäude. Im Libanon hat man die Situation, dass im ganzen Land die Flüchtlinge verteilt sind und die Zahl der Flüchtlinge fast die Hälfte der Bevölkerung ausmacht. Dann war ich in Griechenland, wo die Menschen mit Gummibooten aus der Türkei in der Nacht übersetzen und spätestens da bekommt man mit, welche Menschenmassen auf der Flucht sind. Danach ging es weiter zum Balkan. Hier gibt es die Problematik mit den Grenzen. Das heißt, dass die Flüchtlinge von Grenze zu Grenze reisen und teilweise noch nicht einmal wissen, in welchem Land sie gerade sind. Wenn sie dann nach Österreich kommen und sich dann geschlossenen Grenzen gegenüber sehen - spätestens dann sieht man viele Flüchtlinge, die mit ihren Kräften am Ende sind und voller Erschöpfung zusammenbrechen.
 

 

Ich kann mir vorstellen, dass man auf so einer Reise unzählige Situationen erlebt, in denen man selbst unbedingt helfen will. Allerdings dürfte das ja in der Praxis kaum machbar sein. Wie geht man damit um?

In den Momenten, in denen eine Familie völlig aufgelöst auf mich zukommt und um Hilfe bittet, dann tue ich natürlich das, was mir spontan einfällt. Dann ziehe ich meine Jacke aus und gebe sie der Familie. Dann denkt man super, denen habe ich geholfen. Doch wenn man sich umdreht, sieht man die hundert anderen Familien, die frieren und denen man leider nicht helfen kann, die aber in der gleichen Situation sind. Und das ist natürlich äußerst schwierig.

 

Stundenlang im Regen unterwegs. Flüchtlingskinder auf dem Balkan. Foto: Katharina Ebel

Sie haben mit vielen Flüchtlingsfamilien gesprochen. Was ist Ihnen von diesen Gesprächen in Erinnerung geblieben?
Ich war vor allem sehr überrascht, wie freundlich die Menschen waren. Selbst wenn sie stundenlang im Regen standen oder tagelang nicht geschlafen hatten, haben sie mir trotzdem noch zugelächelt. Bei all den Gesprächen, die ich geführt habe, waren die Menschen sehr entgegenkommend. Ich war sehr beeindruckt, dass die Menschen, die so viel mitgemacht haben, noch so positiv gestimmt sind. Ich habe in diesen zwei Wochen aber auch viel Schlimmes gehört. Von Kindern, die gesehen haben, wie Verwandte getötet wurden. Oder ich habe mit Flüchtlingsfamilien geredet, die mit einem einen Monat alten Baby auf der Flucht waren und unter freiem Himmel geschlafen haben. Das sind alles Schicksale, die einem schon sehr nahe gehen.

 

Welche Eindrücke, die Sie vermutlich niemals vergessen werden, nehmen Sie noch von dieser Reise mit?

Ich muss ehrlich sagen, dass mich vor allem die Arbeit von meinen SOS-Kollegen in Syrien beeindruckt hat. Vor allem, dass sie sich so wenig von dem Krieg beeindrucken lassen. Es gibt einen Kinderdorfleiter, der einen deutschen Pass hat, und er könnte jederzeit aus dem Land raus. Er kommt gar nicht auf die Idee, Syrien zu verlassen. Denn er ist der Meinung: „Die Kinder in Syrien brauchen mich hier und jetzt. Während Europa mich nicht so dringend braucht. In Europa kann ich gerade Menschen nur wenig helfen.“ Solche Menschen haben mich sehr beeindruckt.   
 

Entlang der Flüchtlingsroute hat Katharina Ebel mit vielen Flüchtlingen gesprochen. Hier redet sie mit einem jungen Mann an der Grenze zu Mazedonien. Foto: Ulrich Kleiner

Die SOS-Kinderdörfer leisten seit Wochen Nothilfe entlang der Flüchtlingsroute. Wie läuft die Hilfe vor Ort ab?

Da gibt es zum einen die SOS-Übergangszentren in Syrien, die Kinder aufnehmen, die von ihren Eltern getrennt wurden. Dort bekommen die Kinder vor allem Sicherheit und man versucht den Kindern ein Stück Normalität zu geben. Dazu gehört auch die psychologische Betreuung von traumatisierten Kindern. Insgesamt arbeitet in Syrien ein SOS-Nothilfeteam, das aus über 200 Leuten besteht. Dann haben wir im Libanon eine SOS-Sozialstation aufgebaut. Auch dort geht es um die Betreuung von traumatisierten Flüchtlingskindern. Und dann leisten wir an den Grenzen am Balkan Nothilfe. Wir verteilen Lebensmittel, Babymilch, Windeln oder Hygieneartikel. Außerdem verteilen wir Decken, dicke Jacken oder Winterkleidung an Leute, die stundenlang warten müssen. Damit können wir den Menschen ein wenig helfen, die Flüchtlingsstrecke zu bewältigen.

 

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