Kiew - Nach fast zweieinhalb Jahren vollumfänglichem Krieg in der Ukraine sind nach Angaben der SOS-Kinderdörfer immer mehr Mitarbeiter von Hilfsorganisationen von Burnout betroffen. Serhii Lukashov, Leiter der SOS-Kinderdörfer in der Ukraine, sagt: "Als der Krieg ausbrach, hat uns das Adrenalin angetrieben. Unsere Mitarbeiter sind über sich hinausgewachsen und haben die Grenzen ihrer Belastbarkeit kontinuierlich ausgeweitet - mit dem Ziel, so vielen Kindern und Familien wie möglich zu helfen. Sie haben über lange Zeit Unglaubliches geleistet. Diese Phase ist vorbei, wir sehen das auch bei unseren Partner-Organisationen: Immer mehr Helfer sind erschöpft."
Die aktuelle Studie „Bedürfnisse und Herausforderungen von Nichtregierungsorganisationen im Kontext des Krieges“ der East Europe Foundation kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. Demnach gehört emotionaler Burnout aktuell zu den drei größten Herausforderungen ukrainischer NGOs. Serhii Lukashov, der selbst Psychologe ist, schildert die Mehrfachbelastung der Mitarbeiter von NGOs in der Ukraine so: "Sie leben unter den gleichen Bedingungen wie die Menschen, die sie unterstützen. Sie sind genauso Raketenangriffen, Stromausfällen, dem Verlust von Familienmitgliedern und all den anderen schrecklichen Dingen ausgesetzt. Dazu kommt, dass sie immer wieder mit emotional herausfordernden Situationen konfrontiert sind und viele Helfer das Gefühl haben, nicht ausruhen, sich nicht erholen zu dürfen, solange es anderen Menschen in ihrem Land schlecht geht."
"Dies ist mein Platz in der Welt und es ist meine Aufgabe, hier zu helfen."
Über all dem schwebe die Bedrohung für das eigene Leben. Lukashov sagt: "Immer wieder verschieben sich die Fronten. Aktuell befinden sich mehrere Standorte, an denen wir arbeiten, unter Beschuss. Wir versuchen, unsere Mitarbeiter zu überzeugen, wegzugehen und in anderen Regionen Hilfe zu leisten, aber viele weigern sich: Sie wollen da unterstützen, wo sie geboren und zuhause sind. Sie sagen: ‘Dies ist mein Platz in der Welt und es ist meine Aufgabe, hier zu helfen.’ Wir sprechen hier von Orten wie Tschernihiw, Charkiw, Isjum, Mykolajiw, wo die Risiken enorm hoch sind."
Burnout und Erschöpfung beeinträchtigen nicht nur die Mitarbeiter selbst, sondern auch die Arbeitsprozesse und die Möglichkeit, Hilfe zu leisten. Wenn Helfer ihren Job kündigen, werden die Herausforderungen für die anderen umso größer. Um ihre Mitarbeiter zu unterstützen, haben die SOS-Kinderdörfer eine Reihe von Maßnahmen ergriffen. Lukashov sagt: "Wir haben unsere Angebote zum Stressmanagement sowie individuelle Supervisionen weiter ausgebaut. Wir versuchen, unsere Leute zu sensibilisieren, möglichst frühzeitig zu stärken und so gut es geht, Stress zu reduzieren. Wir nehmen das sehr ernst! Aber die Realität ist auch, dass wir uns im Krieg befinden und die Situation für uns alle sehr, sehr schwierig bleibt." Die einzige wirkungsvolle Lösung, die er sieht: "Ein Ende des Krieges".
Die SOS-Kinderdörfer unterstützen Kinder und Familien in der Ukraine seit Jahrzehnten. Seit Beginn des vollumfänglichen Krieges haben sie ihre Hilfe deutlich ausgebaut und leisten zusammen mit Partnerorganisationen Nothilfe für Kinder und Familien, psychologische Hilfe, unterstützt bei Evakuierungen und mit Unterkünften und bieten kriegsverletzten Kindern Therapie und Rehabilitationsmöglichkeiten.