26. Januar 2023 | PRESSEMITTEILUNG

Vertreibung durch Vergewaltigung

Demokratische Republik Kongo: Missbrauch als Mittel zur Macht über Menschen und Minen

Kinshasa – Die Kämpfe in der Demokratischen Republik Kongo nehmen kein Ende. Vor allem im Osten des Landes kommt es kontinuierlich zu Anschlägen und Übergriffen: Immer öfter sind unschuldige Zivilisten die Opfer, darunter auch viele Kinder. Allein im Dezember und Januar wurden mindestens 240 Zivilisten im Ostkongo getötet, zehntausende Menschen zur Flucht gezwungen, Häuser zerstört und Schulen geschlossen.

Neben Bomben und Gewehren greifen die gegnerischen Gruppierungen zu einer weiteren Waffe: Vergewaltigung. "Systematisch werden Frauen und junge Mädchen missbraucht, kaltblütig getötet und gedemütigt!" berichtet Tatiana Mukanire*. Sie selbst wurde im Zuge des Kongo-Krieges 2004 Opfer sexualisierter Gewalt und ist Mitgründerin eines Hilfsnetzwerks für Überlebende: "Mouvement des Survivant.e.s de Violences Sexuelles en RDC", kurz SEMA.

Bei den grausamen Gewalttaten geht es um die Erniedrigung der Frauen, um die Demonstration von Macht und in erster Linie um Bodenschätze wie Gold und Coltan-Erz (wird z. B. für Mobiltelefone verwendet), die im Osten der DR Kongo hart umkämpft sind. "Der Krieg in der Demokratischen Republik Kongo hat wirtschaftliche Gründe. Menschen werden missbraucht, terrorisiert, getötet, gedemütigt, damit sie fliehen und den Weg frei machen für Guerillagruppen, welche die Minen übernehmen wollen“, erklärt Mukanire.

Täglich trifft sie auf Mädchen und Frauen, die Opfer von Vergewaltigungen wurden: "Seit Jahrzehnten des Krieges haben Millionen von Frauen diese Demütigung erlitten. Die genaue Zahl ist nicht bekannt, weil viele tot sind, und die meisten nicht darüber sprechen wollen und still schweigend leiden."

Landesweit werden pro Monat rund 350 bis 400 Sexualstraftaten angezeigt. Die Dunkelziffer liegt deutlich höher, denn Opfer von sexuellem Missbrauch behalten den Vorfall oft für sich – aus Scham sowie Angst stigmatisiert zu werden. In der DR Kongo "werden vergewaltigte Frauen häufig von ihren Ehemännern verstoßen. Sie gelten als vom Feind beschmutzt", sagt Mukanire. Werden sie schwanger, gilt ihr Kind als sogenanntes "snake child" und wird ebenfalls gemieden. "Oft auch von der eigenen Mutter, die durch das Kind an die schreckliche Tat erinnert wird und sich deshalb von ihm/ihr abwendet." Deshalb gibt es viele bei sexuellen Missbrauch gezeugte Waisenkinder.

Die SOS-Kinderdörfer sind seit 1987 in der Demokratischen Republik Kongo aktiv und nehmen Waisen in drei SOS-Kinderdörfern auf. Zwei befinden sich in den Grenzregionen zu Burundi und Ruanda in Uvira und Bukavu, das dritte in der Hauptstadt Kinshasa. An allen Standorten gibt es unter anderem medizinische Zentren, in denen Kinder und Frauen Hilfe finden. Zu den behandelten Personen gehören auch viele Vergewaltigungsopfer. Sie erhalten von den SOS-Kinderdörfern körperliche und psychosoziale Unterstützung. "Außerdem helfen wir bei der Anzeige der mutmaßlichen Täter. Die Opfer werden von unserem Anwaltsteam unterstützt, damit eine Strafverfolgung in Gang gesetzt wird", erklärt der Leiter für Programmentwicklung der SOS-Kinderdörfer in der DR Kongo, Bignon Fr. Danon. Ohne diese Hilfe würde es sonst meist zu keiner Verurteilung der Täter kommen, da Korruption und Klüngeleien in vielen staatlichen Institutionen vorherrschten.

Die SOS-Kinderdörfer leisten zudem Aufklärungsarbeit in den Gemeinden, um sexuellen Übergriffen vorzubeugen. "Denn leider gehen diese nicht nur von Rebellen aus, sondern auch von Personen aus dem Umfeld der Frauen", so Danon. „Betroffene erhalten auch Hilfe zur Selbsthilfe, um selbstbestimmt leben zu können und wieder in ihre eigene Stärke zu kommen. Er fordert: "Wir müssen für die Stärkung von Schutzsystemen sorgen sowie die Einrichtung von Gemeindeausschüssen zur Verteidigung und Förderung der Rechte der Frauen. Der Fokus muss auf der Prävention von sexueller Gewalt liegen statt auf der Nachsorge nach dem Verbrechen!" Tatiana Mukanire ergänzt: "Das Schweigen der Opfer muss gebrochen werden, damit die Frauen zu Akteuren des Wandels in der DR Kongo und des Kampfes gegen sexuelle Gewalt werden. Sie verdienen Gehör und Gerechtigkeit."

*Tatiana Mukanire verlor als junges Mädchen ihre Eltern und kam 1989 mit ihrem Bruder und ihrer Schwester in die Obhut der SOS-Kinderdörfer. Sie blieb bis zu ihrem Schulabschluss und machte danach ihren Bachelor-Abschluss in Pädagogik. Heute engagiert sie sich für Opfer von sexualisierter Gewalt im SEMA-Netzwerk, das mittlerweile in 21 Ländern weltweit aktiv ist. Ein Hauptsponsor ist die Stiftung von Dr. Denis Mukwege. Der Gynäkologe hat sich in seinem Ponzi-Krankenhaus in Bukavu im Ostkongo auf die Hilfe von Mädchen und Frauen spezialisiert, denen sexualisierte Gewalt widerfahren ist. Für seine medizinische Arbeit sowie seinen Einsatz für Frauen- und Menschenrechte erhielt er mehrere Auszeichnungen, unter anderem 2018 den Friedensnobelpreis.

DR Kongo

Neben den brutalen Gewalttaten und Anschlägen zählen auch weitere Gefahren und zahlreiche Menschenrechtsverletzungen zum Alltag in der Demokratischen Republik Kongo. Dazu zählen:

  • Plünderungen der Dörfer durch Rebellen
  • Entführungen samt Erpressungen
  • Folter
  • die Zwangsrekrutierung von Kindern für Kämpfe oder die Arbeit in Minen
  • Zwangsprostitution 

All diese sind weitere Fluchtgründe.
Stand November 2022 gab es rund 5,5 Millionen intern Vertriebene in der DR Kongo.
Übergriffe auf Flüchtlingscamps haben in letzter Zeit deutlich zugenommen, sodass die Menschen keinen sicheren Zufluchtsort haben.
Trotz der vorhandenen Bodenschätze leben 77 Prozent der Kongolesen in Armut. Diese ist ein weiterer Grund für Gewalttaten und Flucht.

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