26. Januar 2016 | NEWS

Fünf Jahre nach dem Arabischen Frühling

Frauen sind die großen Verlierer, für die Gesellschaft ein Gewinn

Vor fünf Jahren erhoben sich junge, unzufriedene Menschen gegen repressive Regime. Bei Demonstrationen riskierten sie ihr Leben für eine gerechtere, selbstbestimmte Zukunft. Darüber, was sich seitdem verändert hat und wie die Krisen in der Region die Arbeitsweise von Hilfsorganisationen verändern, spricht die Direktorin der Region Mittlerer Osten und Nordafrika der SOS-Kinderdörfer, Alia Al-Dalli.


Wie hat sich das Leben für die Menschen seit dem Arabischen Frühling verändert? Straße in Gaza, Palästina. Foto: Katerina Ilievska

Der arabische Frühling war für viele junge Menschen die große Hoffnung auf Veränderung. Wenn man sich die Situation in den jeweiligen Ländern heute ansieht, hat sich diese Hoffnung wohl nicht erfüllt. Sehen Sie trotzdem positive Entwicklungen, die mit dem arabischen Frühling begannen?

Al-Dalli: Die Menschen in den arabischen Ländern haben gelernt, was sie bewegen können, wenn sie sich vernetzen. Politischer Aktivismus breiter Bevölkerungsschichten war in der Region bis dahin nicht üblich. Das ist eine sehr positive Entwicklung. Außerdem ist der arabische Frühling nicht beendet. Bis heute gibt es Demonstrationen - mit einem wichtigen Unterschied: Sie sind fokussiert und zielen auf konkrete Missstände wie Korruption ab. Die arabische Gesellschaft lernt also und befindet sich in einer beständigen Metamorphose.

Sie bauen also weiterhin darauf, dass die Veränderungen eintreten und sich die Hoffnungen der jungen Menschen erfüllen?

Al-Dalli: Zu Beginn des arabischen Frühlings haben die Menschen geglaubt, dass die gesellschaftlichen und ökonomischen Veränderungen in kurzer Zeit erreicht werden könnten. Das war ein Irrtum. Außerdem waren die Menschen, die da auf die Straße gingen, unorganisiert und sind es leider größtenteils bis heute. Das muss sich ändern, wenn sie ihre Ziele erreichen wollen. Und natürlich gibt es Rückschläge: Wir beobachten, dass die Unterdrückung zugenommen hat und konservative Strömungen populärer geworden sind. Aber die Gründe für die Revolution – Ungleichheit und Ungerechtigkeit - sind noch immer da. Das Feuer ist entfacht und wird so schnell auch nicht wieder erlöschen.

Was kann eine Organisation wie die SOS-Kinderdörfer tun, um Veränderungen zu unterstützen?


Bildung und Gleichberechtigung. An der SOS-Schule in Rafah in Palästina lernen Mädchen und Jungen gemeinsam.

Al-Dalli: Frauen sind die absoluten Verlierer dieser Revolution. Während der Demonstrationen des arabischen Frühlings wurde der Aktivismus aus vielen Frauen buchstäblich herausgeprügelt. Viele Gesetze werden heute viel konservativer ausgelegt und grenzen die Bewegungsfreiheit von Frauen weit mehr ein. Hier müssen wir uns verstärkt für die Rechte von Mädchen und Frauen einsetzen und gleiche Bildungschancen fördern. Durch Beratungen können wir legale Wege aufzeigen, wie sich Frauen trotz konservativ ausgelegter Gesetze emanzipieren können. Weiterhin fördern wir immer wieder Initiativen, um Mädchen zu helfen, ihre Träume zu leben.

Aktuell finden die Friedensverhandlungen für Syrien statt, welche Hoffnungen haben sie auf Frieden?

Al-Dalli: Ich fürchte, es sieht nicht gut aus. Lange war nicht einmal klar, wer von den Konfliktparteien überhaupt mit am Verhandlungstisch sitzen wird. Aus der Vergangenheit wissen wir, dass Erfolge bei solchen Verhandlungen erst erzielt werden, wenn die kriegsführenden Parteien mit ihrer Kraft am Ende sind, also keinen anderen Ausweg mehr sehen. Soweit ist es in Syrien noch längst nicht.

Was bedeutet das für eine Organisation wie die SOS-Kinderdörfer, die direkt in Syrien arbeitet?


Waisen und allein aufgefundene Kinder stehen im Fokus der SOS-Arbeit in Syrien. Die Arbeit in Krisenregionen stellt die SOS-Mitarbeiter vor bersondere Herausforderungen.

Al-Dalli: Wir müssen lernen, in einem unsicheren und unvorhersehbaren Umfeld zu arbeiten. Die Sicherheitslage hat sich in vielen Ländern, in denen wir arbeiten, extrem verschlechtert. Für uns ist jetzt nicht die Frage, ob wir uns dort weiter engagieren, sondern wie. Als Organisation, deren Kernaufgabe bislang soziale Entwicklungshilfe war, sind wir immer häufiger gefordert, auch Nothilfe zu leisten und diese beiden sehr unterschiedlichen Bereiche zu kombinieren. Um Kinder zu schützen, müssen wir unsere Programme und Arbeitsweisen anpassen und flexibel agieren. Diese Krisen fordern uns als Organisation heraus und erzwingen Veränderungen. Das bringt Unruhe aber letztendlich ist dieser Wandel positiv und notwendig, denn wir erreichen damit mehr hilfsbedürftige Kinder.

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