Bomben auf Krankenhäuser, Schwangere und Kinder: Die syrische Rebellenbastion Ost-Ghouta ist gefallen. Während der Endphase der Kämpfe versuchte die Familie der elfjährigen Hanaa der Hölle in der belagerten Region zu entkommen. Das Mädchen berichtet von der Flucht, bei der ihre Eltern niedergeschossen wurden. Hanaa und ihr neunjähriger Bruder Abdullah sind im neuen SOS-Kinderdorf bei Damaskus untergekommen.
Hanaa, kannst du von eurem Leben in Ost-Ghouta erzählen?
Nachdem Bomben in unser Haus einschlugen, mussten wir ständig an unterschiedlichen Orten leben. Wir waren verrückt vor Angst und Verzweiflung. Kein Tag verging, ohne dass Bomben fielen. Bei jeder Granate hielt uns unsere Mutter so fest im Arm, dass uns die Schultern wehtaten. Viele unserer Freunde sind tot. Es gab auch keine Medikamente, wenn man sich verletzte, und keine Ärzte. Viele Leute starben deshalb. Mein Vater sagte immer, dass selbst Tod schöner sei, als das Leben in Ost-Ghouta. Er wollte uns ein solches Leben ersparen und uns da raus holen. Deshalb flohen wir.
Wie bist du aus Ost-Ghouta entkommen?
Wir haben oft versucht zu fliehen. Immer tagsüber, aber es war zu gefährlich. Jeden Tag starben Menschen durch Bomben und Scharfschützen. Da hat mein Papa beschlossen, dass wir es nachts versuchen. Am Anfang war meine Mama dagegen, weil sie Angst um uns hatte. Aber am Ende stimmte sie zu, weil die Situation in der Stadt immer schlimmer wurde. Wir machten uns mitten in der Nacht auf den Weg und hofften, dass uns die Scharfschützen im Dunkeln nicht sehen.
Was passierte dann?
Mein Papa sagte: "Rennt, so lange es irgendwie geht. Und wenn ihr nicht mehr könnt, dann krabbelt ihr weiter. Aber bleibt auf keinen Fall stehen – egal, was passiert!" Das machten wir, bis mein Vater uns stoppte. Er wollte eine Straße überqueren, dann mit uns geduckt an einer Hauswand entlang schleichen, um zu einem der Fluchtkorridore zu gelangen. In dem Moment begannen die Schüsse. Wir hatten Angst und rannten so schnell wir konnten. Meine Mama war langsamer als wir anderen. Ich hörte sie hinfallen und laut schreien.
Wie hast du reagiert?
Papa ging zurück zu Mama, um sie zu tragen, und rief uns zu, dass wir weiterlaufen sollen. Das taten wir, bis wir zu Bäumen gelangten, wo wir vor den Schüssen geschützt waren. Dann krochen wir so lange weiter, bis wir im Korridor ankamen. Ein Soldat sah uns und brachte uns zum nächsten Kontrollposten, da waren viele Soldaten. Wir zitterten vor Angst und Verzweiflung.
Weißt du, was mit euren Eltern passiert ist?
Nein, ich habe sie nie mehr gesehen. Die Schmerzensschreie meiner Mama und die Rufe meines Vaters waren das Letzte, was wir von ihnen hörten.
Wann seid ihr das letzte Mal in die Schule gegangen?
Vor über zwei Jahren, dann wurde unsere Schule zerbombt. Ich müsste jetzt eigentlich in die fünfte Klasse gehen, und mein Bruder, der ist neun Jahre alt, in die dritte.
Die SOS-Kinderdörfer haben dich und deinen Bruder aufgenommen. Wie geht es euch da?
Im Kinderdorf ist alles sauber und schön. Ich habe ein Zimmer für mich alleine, weil ich das einzige Mädchen im Haus bin. Ich fühle mich zum ersten Mal seit Langem wieder sicher. Meine neue SOS-Mama schläft bei mir im Zimmer, weil ich alleine Angst haben und nicht schlafen kann. Ich habe schlimme Alpträume. Ich sehe meine Mutter vor mir, wie sie blutend auf der Straße liegt. Die SOS-Mama beruhigt mich dann immer. Und mein Bruder und ich werden demnächst wieder in die Schule gehen. Darauf freue ich mich.
Hanaa und ihr Bruder Abdullah* erhalten im SOS-Kinderdorf psychologische Betreuung. SOS versucht, ihre Eltern und Angehörige zu finden.
*Die Namen der Kinder wurden zum Schutz ihrer Privatsphäre geändert.