Vergewaltigungen, Morde, Vertreibungen: Im Südsudan tobt seit Ende 2013 ein nicht enden wollender Bürgerkrieg. Die Folge: Fünf Millionen Menschen sind von Hunger bedroht, zwei Millionen mussten ihre Heimat verlassen, Zehntausende sind auf der Flucht. Alberto Fait, Projekt-Koordinator der SOS-Kinderdörfer im Südsudan, spricht über die Angst vor einem zweiten Ruanda und die aktuelle Lage in der Hauptstadt Juba.
Wie erleben Sie die Situation im Südsudan im Moment?
Wir wissen, dass die Lage in vielen Landesteilen schrecklich ist, wissen von gezielten Angriffen auf die Zivilbevölkerung, von Massenvergewaltigungen und anderen Gräueltaten.
Fürchten Sie einen Völkermord wie 1994 in Ruanda?
Die Angst vor einem Völkermord ist immer da! Gewalt hat sich in der Geschichte und jüngeren Vergangenheit des Südsudan immer wieder entlang ethnischer Linien entladen - das birgt das Risiko für einen Genozid. Die Zeichen sind alarmierend: Millionen Menschen sind auf der Flucht und suchen in den Nachbarländern Schutz.
Was kann die internationale Gemeinschaft tun, damit es im Südsudan nicht zu einem zweiten Ruanda kommt?
Die Zivilbevölkerung zu schützen ist jetzt die dringlichste Aufgabe der internationalen Gemeinschaft. Wir hoffen, dass der Druck der internationalen Gemeinschaft zu einer nachhaltigen Deeskalation beitragen wird.
Und was ist bisher ganz konkret passiert?
Die Vereinten Nationen haben den Blauhelm-Einsatz im Südsudan verlängert. Außerdem will die UN weitere 4000 Blauhelmsoldaten nach Juba entsenden. Die Menschen hier hoffen, dass diese Soldaten bald eintreffen. Bisher wissen wir nur von 300 japanischen Soldaten, die die Uno-Friedenstruppen vor Ort unterstützen.
Nach UN-Angaben sind rund 3,7 Millionen Menschen – also jeder dritte Einwohner – vom Hunger bedroht. Haben die Menschen in Juba noch genug zu essen?
Die Nahrungsunsicherheit ist in der Tat ein riesiges Problem. Auch hier bei uns in Juba verschlechtert sich die Situation. Zwar gibt es noch genug Lebensmittel zu kaufen, aber das große Problem ist, dass wegen der extremen Inflation alles viel teurer geworden ist. Viele Menschen können sich die Grundnahrungsmittel einfach nicht mehr leisten.
Im Juli wurde das SOS-Kinderdorf in Juba angegriffen, geplündert und zerstört – wie gehen die SOS-Mitarbeiter mit der ständigen Bedrohungslage um?
Das SOS-Team in Juba ist extrem gut. Ein höchst professionelles Team ist existentiell, um in einer solchen Umgebung effektiv arbeiten zu können. Nach den Erlebnissen im Juli war das Lachen aus den Gesichtern unserer SOS-Kinder und SOS-Mütter verschwunden – für mich und die Mitarbeiter war das nur schwer zu ertragen.
Wie geht es den SOS-Mitarbeitern und Kindern in Juba im Moment?
Wir leben mit unseren Kindern in einem Ausweichquartier: Es mangelt an Platz, aber allen geht es gut und das Lächeln auf den Gesichtern der Mütter und Kinder ist zurück. Unsere Kinder sind sicher, wir haben genug Lebensmittel und für den Fall einer neuerlichen Zuspitzung der Situation vorgesorgt. Die schrecklichen Erlebnisse aus dem Juli haben wir hinter uns gelassen und wir blicken verhalten optimistisch in die Zukunft.
Wie geht es weiter?
Wir haben vor wenigen Tagen unser altes SOS-Kinderdorf, unser Zuhause, besucht. Die Lage war ermutigend. Wir sind voller Hoffnung, vielleicht schon im Januar wieder einziehen zu können.