Bis zur russischen Invasion lebte Juliana mit ihrer SOS-Kinderdorf-Familie im SOS-Kinderdorf Brovary in der Ukraine. Drei Tage nach Kriegsausbruch floh die Familie in das polnische SOS-Kinderdorf Bilgoraj. Letztes Jahr zog Julianas zehnköpfige Familie wieder um, in ein von den SOS-Kinderdörfern angemietetes Haus im Zentrum Bilgorajs. Entgegen aller Unruhe und Ungewissheit behält die 18-Jährige ihre beruflichen Ambitionen konsequent im Blick.
Juliana, Sie verfolgen Ihre Ausbildung als Fachfrau für Textiltechnik an der Berufsschule in Kiew seit zwei Jahren nur online. Ist es nicht irre anstrengend, beruflich am Ball zu bleiben, in einem fremden Land, dessen Sprache Ihnen nicht vertraut ist?
Manchmal habe ich Heimweh, aber ich bin gar nicht sicher, ob ich in die Ukraine zurückkehren will. Ich hab‘ mehrere Polnischkurse besucht, die Sprache ist kein Problem mehr. Aktuell mache ich ein Praktikum bei einem lokalen Unternehmen - und nebenbei Online-Kurse über KI. Das Wichtigste für junge Frauen wie mich ist, Bildung zu erwerben.
Klingt ziemlich zielstrebig. Hat Ihnen das jemand vorgelebt?
Meine Vorbilder sind meine leibliche Schwester, die in Kiew lebt, und meine SOS-Kinderdorf-Mutter Valentina. Einige meiner SOS-Kinderdorf-Geschwister nennen sie beim Vornamen, aber für mich ist sie nur ,Mama‘. Sie ist immer an meiner Seite, sie inspiriert mich und macht mich stark! Mama hat mir vermittelt, dass Frauen lange für das Recht auf Bildung kämpfen mussten, und dass wir uns heute nicht mehr von einem männlichen ,Versorger‘ abhängig machen sollten.
Was sind Ihre nächsten Pläne?
Ich fahre zu einem Entrepreneurship Skills-Trainingscamp nach Tschechien. Eine super Gelegenheit, um meine Kommunikationsfähigkeit zu verbessern, und um mit den Erwartungen von Unternehmen vertraut zu werden. Allerdings ist mir ziemlich bange bei dem Gedanken, neun Tage ohne meine Familie zu sein. Seitdem wir aus der Ukraine fliehen mussten, sind wir noch enger zusammengerückt. Ich bin ungern ohne sie.
Aber Sie stellen sich der Herausforderung?
Ja, indem ich mich auf die Vorteile konzentriere. Wenn ich mich weiterentwickeln will, muss ich jede Chance nutzen, die mir eine neue berufliche Perspektive eröffnen könnte. Im Leben geht’s doch darum, trotz aller Schwierigkeiten voranzukommen. Schwierigkeiten wird‘s immer geben, ich will mich davon nicht unterkriegen lassen. Wer in sich selbst gefestigt ist und den nötigen Rückhalt hat, erreicht früher oder später sein Ziel.