Überall hatte die Großmutter Fatima* nach ihren Enkeln gesucht, nachdem der Krieg sie auseinander gerissen hatte. Sie war verzweifelt. Dann fand sie ihre Enkelchen doch noch – im SOS-Kinderdorf Saboura.
"Rennt so schnell ihr könnt", hatte ihr Vater ihnen eingeimpft, "und wenn ihr nicht mehr könnt, dann krabbelt, aber bleibt auf keinen Fall stehen." Nachdem die Situation im belagerten Ost-Ghouta immer auswegloser geworden war, hatte die Familie beschlossen zu fliehen. Während sich die Kinder retten konnten, wurden ihre Eltern beschossen. Bis heute fehlt jede Spur von ihnen.
Hanaa* (11) und Abdullah* (8), wurden im SOS-Kinderdorf Saboura aufgenommen. Dort bekamen sie Schutz, Fürsorge und psychologische Unterstützung. Gleichzeitig suchten SOS-Mitarbeiter nach ihren Eltern oder Verwandten – und waren glücklich, als sich plötzlich die Großmutter der Kinder meldete. Ende Dezember konnten Enkel und Oma wiedervereint werden. Sie erhalten nun Unterstützung durch die SOS-Familienhilfe. Im Gespräch schildern Fatima, ihre Enkelin Hanaa und die SOS-Mutter der Kinder die Erlebnisse der letzten Monate aus ihrer Sicht.
Fatima, die Großmutter: "Ich malte mir die schlimmsten Dinge aus!"
"Monatelang habe ich nach meinen Enkelkindern gesucht. Ich war in ständiger Sorge, weil ich nicht wusste, ob es ihnen gut geht. Ich malte mir die schlimmsten Dinge aus.
Durch den Krieg in Syrien sind so viele Menschen gestorben, so viele werden vermisst. In dieser Situation war es für mich fast unmöglich, irgendwelche Informationen zu bekommen. Ich suchte in Krankenhäusern, Notunterkünften, Polizeistationen und in den Listen der Waisenhäuser – vergeblich. Zu allem Überfluss entwickelte sich auch noch ein Blutgerinnsel in meiner rechten Hand, das mir große Schmerzen verursachte. Ich war niedergeschmettert, musste immer wieder weinen. Dann kam dieser Mann auf mich zu und drückte mir einen Zettel in die Hand: darauf die Adresse des SOS-Kinderdorfs Saboura.
Ich bin allen, die Hanaa und Abdullah im SOS-Kinderdorf geholfen haben, sehr dankbar! In der Nacht, bevor ich meine Enkel wiedersehen sollte, konnte ich kaum schlafen, weil ich mich so sehr freute. Mein Sohn und seine Frau waren großartige Menschen, sie waren immer gut zu mir. Jetzt werde ich mich um ihre beiden Kinder kümmern, egal, wie schwierig die Situation ist. Wenn wir schlafen gehen und wie ein Sandwich zusammen im Bett liegen, ist das ein unbezahlbarer Moment."
Enkelin Hanaa: "Ich bin so froh, dass Oma uns nicht aufgegeben hat!"
"Mein Bruder und ich hatten eine gute Zeit im Kinderdorf. Unsere SOS-Mutter war sehr nett zu uns. Ich habe meiner Großmutter ganz viel von ihr erzählt. Wie liebevoll sie zu uns war und wie sie immer wieder neue Ideen hatte. Alles war toll im Dorf, wirklich, aber trotzdem haben mein Bruder und ich oft nachts geweint, wenn wir an unsere Eltern dachten. Als ich dann meine Großmutter wiedersah, wollte ich am liebsten sofort mit ihr gehen und gar nicht mehr abwarten, bis alles geregelt ist. Ich versteh das selbst nicht, aber ich wollte nur noch bei ihr sein. Ich bin so froh, dass Oma uns nicht aufgegeben hat!"
Die SOS-Kinderdorfmutter: "Eine komplizierte Gefühlslage"
"Ich finde es sehr schlimm, wenn ein Kind ohne seine Familie leben muss. Als SOS-Mutter kenne ich die Realität gut: Die Kinder sind sicher hier, sie sind fröhlich, es geht ihnen eigentlich gut – aber zur gleichen Zeit wünschen sie sich, dass ihre Familien gefunden werden und dass sie wieder bei ihnen leben können. Das ist eine komplizierte Gefühlslage, aber ich verstehe sie sehr gut!
Ich vermisse Hanaa und Abdullah. Wir haben nicht mal ein Jahr miteinander verbracht, aber da waren viele schöne, besondere Augenblicke. Ihre Eingewöhnung im Kinderdorf war nicht einfach und erforderte viel Geduld, aber noch schwerer war es für mich, von den Beiden Abschied zu nehmen."
* Namen zum Schutz der Familie geändert