Vornehm sieht sie aus, eine gepflegte Frau, dezent geschminkt, die weißen Haare sorgfältig frisiert. Sehr gerade steht Elisabeth Gaul da, nur leicht auf ihren Gehstock gelehnt, den sie seit der Hüftoperation braucht. Als sie so dem Dalai Lama begegnete, hat er ihr sofort einen Sessel angeboten und diesen eng neben seinen eigenen gestellt. Aber das ist eine Geschichte für später.
Wenn ich 60 bin, komme ich wieder
Davor stehen viele Jahre, die Elisabeth Gaul den Kindern in Nordindien gewidmet hat, und noch davor zahlreiche Treckingtouren, die man auf den ersten Blick kaum mit dieser feinen Dame zusammenbringt und mit denen sie bald nach dem Krieg begann. Damals arbeitete sie als „Sekretärin mit Sonderaufgaben“ für einen französisch-deutschen Glaskonzern und war viel im Ausland unterwegs. Privat reiste sie ebenfalls, zunächst auf den Spuren der Maya und Inka, irgendwann Richtung Himalaya, nach Pakistan, Nepal und auch in die Region Ladakh in Nordindien. Es war 1976 und Elisabeth Gaul 44 Jahre alt, als sie dort das SOS-Kinderdorf sah, das geschaffen worden war, um tibetische Flüchtlingskinder aufzunehmen. Die Arbeit überzeugte sie auf Anhieb, gleichzeitig sah sie die Notwendigkeit selbst etwas zu tun und sie gab ein Versprechen ab: „Wenn ich sechzig bin, komme ich wieder und helfe euch!“ Sie habe sich daran erinnert, wie sie im Krieg in einem Kellerloch gesessen habe, erzählt Elisabeth Gaul. Daran, wie sich Not anfühlt.
Zurückhaltendes Auftreten
Elisabeth Gaul hielt Wort. Mit 61 Jahren fuhr sie wieder nach Ladakh, knüpfte erste Kontakte, überreichte erste Spenden an das dortige SOS-Kinderdorf. Es begann ein neues Leben, das sie mit der ihr eigenen Disziplin und Konsequenz fast ausschließlich den Flüchtlingskindern widmete: War sie in Deutschland, an ihrem Wohnort Stolberg in der Nähe von Aachen, entlockte sie Freunden, Bekannten und dem weiteren Umfeld Geld. Und jedes Jahr im August fuhr sie nach Ladakh, finanzierte die Reise privat, sodass sie jeden gespendeten Cent auch wirklich weitergeben konnte. "Spätestens als ich im dritten Jahr wiederkam, war ich für die Menschen glaubwürdig." Bald riefen die Kinder, sobald Elisabeth Gaul in einem ihrer hellblauen Kleider auftauchte: "Der blaue Engel kommt!" Und liefen auf sie zu. Gefordert habe sie das nie, im Gegenteil. Sie betont, wie wichtig ein zurückhaltendes Auftreten gerade in diesen Ländern sei. Das empfehle sie auch SOS-Paten, die vielleicht den Wunsch haben, ein Kinderdorf zu besuchen. Man solle sich auf jeden Fall vorher anmelden und dürfe nicht zuviel erwarten. "Wenn Sie hingehen und einem Kind ungefragt den Kopf tätscheln, ist das Kind verschreckt!"
Der Dalai Lama hielt sie fest im Arm
Als Elisabeth Gaul im August 2005 zum zwölften Mal nach Ladakh fuhr, hörte sie, dass der Dalai Lama, Oberhaupt der Tibeter, ebenfalls dort sei. Und plötzlich, eines Abends, erfuhr sie, dass er sie sehen wolle. Ihr rheinisches Temperament bricht durch, wenn sie von dieser Begegnung erzählt, vergessen ist die vornehme Dame. "Wir hatten gerade Stromausfall und mit Hilfe einer Taschenlampe suchte ich am Abend meine Kleidung für die Audienz am nächsten Morgen bereit. Ich war so aufgeregt, dass ich in der Nacht dauernd zur Toilette rennen musste." In der Früh holte ein Fahrer sie ab, anschließend wurde sie über die Etikette belehrt. Sie solle seine Heiligkeit nicht direkt ansprechen oder anfassen. "Ich fühlte mich wie ein Mädchen auf der Kommunionsbank."
Es kam der Dalai Lama und nahm sie fest in den Arm. Dann nahm er ihre Hand, ließ sie nicht mehr los, dankte für ihre Arbeit, fragte auch nach ihrer Hüfte. Scherzte. Segnete sie. Für sie sei die Begegnung mit diesem Mann, der stellvertretend für sein Volk stehe, die Belohnung für ihr Engagement gewesen. „Als man mir dann noch sagte, dass ich nach dieser Segnung mit einem langen, erfüllten Leben rechnen könne, habe ich spontan Dinge gegessen, die mein Magen eigentlich gar nicht verträgt.“
Wenn Sie jemanden als Spender der Woche vorschlagen möchten, schreiben Sie bitte an: simone.kosog@sos-kd.org