Dr. Wilfried Vyslozil
Wir sorgen derzeit mit rund 20.200 SOS-Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für 76.600 Kinder und Jugendliche in 137 Ländern, in einer Vielzahl von langfristigen Betreuungsformen. Aus langjähriger und direkter Erfahrung wissen wir: Der weitaus größte Teil der weltweiten SOS-Kinderdorf-Familie lebt unsere Werte Tag für Tag überzeugend. Kinderschutz hat für die SOS-Kinderdörfer größte Bedeutung. Aber einzelne Menschen verstoßen gegen Regeln, nutzen ihre Position oder Situationen aus.
Seit 2008 haben wir eine Fülle von Maßnahmen ergriffen, um den Kinderschutz in unseren weltweit rund 3.000 Projekten zu verankern. In allen 137 Ländern, in denen wir tätig sind, wurden die Mitarbeitenden gezielt weitergebildet und Untersuchungs-Teams aufgebaut, um Verdachtsfällen nachzugehen. Für die Kinder haben wir Wege eingerichtet, wie sie sich an Vertrauenspersonen wenden können, notfalls auch anonym. Auf diese Weise konnten Kinder geschützt, aber auch Strafmaßnahmen bei Vergehen eingeleitet werden. In manchen Ländern gelten die Projekte der SOS-Kinderdörfer als "bestes Modell/Best Practice", in den allermeisten Ländern können wir auf gesicherten Kinderschutz bauen.
Aufsichtsorgane unseres Dachverbandes SOS-Kinderdorf International haben unabhängige Untersuchungen von Vorkommnissen seit den 90er Jahren beauftragt. Nun liegen die Berichte vor. Wir müssen feststellen, dass es in einzelnen Ländern Verstöße gegeben hat, und zwar in rund 50 unserer 3.000 weltweiten Projekte. Es geht um körperliche Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen bis hin zu Fällen von sexuellem Missbrauch. Jeder Fall ist einer zu viel!
Deshalb müssen wir jetzt den betroffenen Kindern, unseren Unterstützer:innen und Partner:innen und uns selbst eingestehen: Unsere Bemühungen auf diesem Gebiet haben nicht gereicht. Trotz breiter Präventions-Trainings und strenger Verhaltensregeln ist es zu Verstößen gegen unsere grundlegenden Werte und Normen gekommen. Daher bitten wir im Namen unserer Organisation die betroffenen Kinder und Jugendlichen um Verzeihung, wie auch alle, die uns bisher ihr Vertrauen geschenkt und unsere Arbeit unterstützt haben.
Wir werden in dieser Situation schonungslos offen und transparent sein. Wir werden uns den Versäumnissen ehrlich stellen. Wir gehen bewusst auch den Weg in die Öffentlichkeit. Gegebenenfalls werden Sie also in den nächsten Tagen Presseberichte zum Thema lesen.
Wie geht es nun weiter?
- Wir suchen aktiv die Versöhnung mit den Opfern und haben das Jetzt und Heute der betreuten Kinder und Jugendlichen durchgängig geschützt. Wir haben beim Bekanntwerden eines jeden Falles sofort gehandelt – uns im ersten Schritt um die betroffenen Kinder und Jugendlichen gekümmert und im zweiten Schritt rechtliche Maßnahmen wie Kündigungen und/oder Strafanzeigen eingeleitet.
- Selbstverständlich werden die betroffenen jungen Menschen finanziell unterstützt, um ihnen in ihrer persönlichen, mentalen und beruflichen Integrität umfassend zur Seite zu stehen. Täter:innen wurden suspendiert und angezeigt und konsequent Kontaktverbote veranlasst. Zum Opferschutz gehört auch, dass Kinder mit einschlägigen Erfahrungen besondere Betreuung durch ausgewählte Fachleute bekommen, wie zum Beispiel Traumatherapie oder andere Formen psychologischer Begleitung.
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Am 29.4.2021 hat unsere Dachorganisation entschieden: Eine Special Commission, der unter anderem (ehemalige und aktive) Oberste Richter:innen aus Kenia, Sri Lanka und Österreich angehören, wird die Vorfälle neu bewerten. Wir erwarten für die betroffenen Länder Empfehlungen für eine verbesserte Struktur der nationalen Aufsicht, eine kritische Prüfung der Arbeitsbedingungen und verbesserte Methoden bei der Auswahl von Mitarbeitenden.
Wir möchten transparent und ehrlich über die Vergangenheit und den Weg in die Zukunft kommunizieren. Wir machen das, weil es der einzig richtige Weg ist. Weil wir fest an die Idee der SOS-Kinderdörfer glauben.
Der erste Schritt Verbesserungen weiter entschieden voranzutreiben, ist Offenheit. Sie ist die Grundlage für Vertrauen. Auch für das Vertrauen unserer Unterstützer:innen, das so wichtig für uns ist.
Für Ihre Fragen stehen wir Ihnen sehr gerne zur Verfügung:
Dr. Wilfried Vyslozil
Vorstandsvorsitzender der SOS-Kinderdörfer weltweit
München, 7. Mai 2021