Schätzungen der Internationale Arbeitsorganisation (ILO) zufolge sind im Jahr 2017 weltweit rund 71 Millionen junge Menschen ohne Arbeit. Die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen steigt demnach im Jahresvergleich zum dritten Mal in Folge. Eine erschreckende Entwicklung, der man auf unterschiedlichen Ebenen begegnen muss, um Jugendlichen wieder eine Perspektive für ihr Leben zu geben.
Hans-Jörg Bullinger ist Vorsitzender des Kuratoriums der Wilo-Foundation.
Die Wilo-Foundation engagiert sich gemeinsam mit den SOS-Kinderdörfern in diesem Bereich tatkräftig. Die Dortmunder Familienstiftung fördert großzügig das SOS-Förderprogramm "Strong Youngsters", das die Bildungs- und Berufschancen junger Menschen in Belgrad erhöht. Vor kurzem hat Prof. Dr.-Ing. Hans-Jörg Bullinger, Vorsitzender des Kuratoriums der Wilo-Foundation, das SOS-Projekt in der Hauptstadt der Republik Serbien besucht.
Herr Professor Bullinger, Sie besuchen regelmäßig Serbien und kennen das Land gut. Wie entwickelt sich die Region, insbesondere deren Hauptstadt?
Belgrad ist eine Stadt, die im Balkankrieg sehr gelitten hat. Dabei meine ich nicht nur die Zerstörung von Häusern. Wenn man heute durch die Straßen geht, stößt man immer noch auf viele arme Bereiche, in denen Entwicklung dringend nötig ist. Früher ging man davon aus, dass Serbien eine Pole-Position zukommt, wenn sich der Eiserne Vorhang hebt. Doch wie die Geschichte zeigt, haben sich die Dinge leider gegenteilig entwickelt. Das drückt sich nun selbstverständlich auch in der hohen Arbeitslosigkeit aus.
Vor allem die Jugendarbeitslosigkeit ist immens. Nahezu die Hälfte der jungen Menschen hat keine geregelte Arbeit. Was braucht es, um hier entgegenzuwirken?
Nun, in der Theorie ist dies leicht zu beantworten. Jugendarbeitslosigkeit beseitigt man indem man Arbeitsplätze schafft. Sie brauchen unter anderem Firmen, die ausbilden und Arbeit bieten. Unternehmen, die investieren. Hiervon gibt es schlichtweg noch zu wenige. Ehrlichgesagt gehe ich auch nicht davon aus, dass sich diese Situation kurzfristig – sagen wir mal in den kommenden fünf Jahren – grundlegend ändern wird. So schnell lässt sich keine Wirtschaft aufbauen. Trotzdem sehe ich Fortschritte und unterstelle, dass es mittelfristig auch gelingt. Damit ginge natürlich auch die Jugendarbeitslosigkeit zurück.
Die SOS-Kinderdörfer begegnen dem Problem der Jugendarbeitslosigkeit mit dem Projekt "Strong Youngsters". Sie haben es in Belgrad besucht. Erzählen Sie uns bitte davon.
Der Projektstandort ist mitten in Belgrad. Dort werden junge Menschen dabei unterstützt, in dem extrem schwierigen Wirtschaft- und Jobumfeld zu bestehen. In einer Trainingssession, der ich beiwohnen konnte, wurden die Jugendlichen auf verschiedene Situationen der Berufswelt vorbereitet. Wie verhalte ich mich in einem Bewerbungsgespräch? Wie begegne ich Konflikten? Diese und andere Themen wurden unter Anleitung des SOS-Teams sehr anschaulich gemeinsam erarbeitet. Alle waren hier überaus konzentriert und engagiert bei der Sache. Bei den SOS-Mitarbeitern war eine hohe Identifikation spürbar.
Sie wurden bei Ihrem Besuch auch von lokalen Wilo-Mitarbeitern begleitet. Wie stehen die Kollegen vor Ort zu dieser SOS-Arbeit?
Berufsvorbereitungstraining im Rahmen des SOS-Jugendprogramms "Strong Youngsters" in Belgrad, Serbien.
Die Kollegen waren sichtlich angetan von dem Projekt. Sie haben sogar angeboten, Jugendlichen einen Einblick in die Praxis zu geben. Wilo hat in Belgrad eine Vertriebsniederlassung. Dort wird nun künftig ein Teil der jungen Menschen praktische Erfahrungen sammeln können. Darum geht es bei dem SOS-Projekt eben auch: Jugendlichen in Firmen die Praxis nahe zu bringen.
Die Zusammenarbeit der SOS-Kinderdörfer und der Wilo-Foundation hat sich bisher auf Wasserprojekte bezogen. Ist dies nun eine neue Richtung für die Wilo-Foundation?
Ganz und gar nicht. Der Förderbereich Bildung ist in unserer Stiftungssatzung verankert. Unter unserem Motto "empowering young people" fördern wir Talente in verschiedenen Bereichen – so etwa Ingenieurstudierende und junge Wissenschaftler, engagierte Schüler und Auszubildende, MINT-interessierte Kinder, junge Künstler sowie Nachwuchsruderer am Ruderleistungszentrum in Dortmund. Damit möchten wir insbesondere jungen Menschen ermöglichen, ihre vorhandenen Fähigkeiten weiterzuentwickeln, Begabungen zu stärken oder eigene Talente zu entdecken. Als wir erfahren haben, dass sich auch die SOS-Kinderdörfer in diesem Segment engagieren, sahen wir hier eine weitere Kooperationsmöglichkeit.
Ziel des SOS-Projekts in Belgrad ist es, die junge Generation in die Lage zu versetzen, die Zukunft ihres Landes selbstbewusst und aktiv mitzugestalten und zu verändern. Was geben Sie Jugendlichen in dieser wirtschaftlich schwierigen Situation für dieses Ziel mit auf den Weg?
Die allermeiste Arbeit beginnt im Kleinen. Ich erinnere hier gerne an Reinhold Würth, der aus der selben Region in Baden-Württemberg stammt wie ich. Dieser hat aus einem Zweimannbetrieb einen weltweit agierenden Handelskonzern geschaffen. Begonnen hat er damit, Schrauben aus dem väterlichen Betrieb mit dem Leiterwagen auszufahren. Solche Geschichten sind auch heute noch überall möglich!
Herr Professor Bullinger, herzlichen Dank für das Gespräch.
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Zur Person: Hans-Jörg Bullinger ist Vorsitzender des Kuratoriums der Wilo-Foundation. In Serbien hält der 73-Jährige Ehrendoktorwürden der Universität Novi Sad. Als ehemaliger Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft ist er heute Mitglied im Fraunhofer-Senat. Sein berufliches Leben führt er nach dem Motto: "Geht doch" - Ideen entwickeln, wo andere aufgeben.
Strong Youngsters: Das Jugendförderprogramm ist darauf ausgerichtet, die soziale sowie wirtschaftliche Lage von sozio-ökonomisch benachteiligten Jugendlichen in Belgrad nachhaltig und dauerhaft zu verbessern. Durch den Aufbau eines Karrierecenters vor Ort soll die Beschäftigungsfähigkeit junger Menschen gesteigert, deren berufliche Selbstständigkeit gefördert und deren zivilgesellschaftliches Engagement entwickelt werden. Durch diese Initiative sollen insgesamt rund 300 sozial benachteiligte im Alter zwischen 16 und 24 Jahren begünstigt werden. Das Projekt wird vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gefördert. Für Unternehmen besteht die Möglichkeit, das Jugendprojekt mit Spenden zu unterstützen.