"Afrikas Kinder müssen Experten ihrer eigenen Probleme werden"
Ein Gespräch mit Titi Ofei, Leiter des SOS-Colleges in Ghana
Afrika hängt seit Jahrzehnten am Tropf der Entwicklungshilfe. Der Patient scheint einfach nicht auf die Beine zu kommen, so die Ferndiagnose im Westen. Doch was müsste geschehen, damit sich der vermeintlich chronisch Kranke selbst kuriert – und die Afrikaner sich aus ihrer Abhängigkeit von internationalen Hilfszahlungen befreien? Was kann und muss Bildung hier leisten? Darüber haben wir mit Titi Ofei, dem Leiter des SOS Hermann Gmeiner International College in Ghana, gesprochen.
Herr Ofei, wie ist es aktuell bestellt um die Bildung in Afrika?
Ofei: Obwohl Bildungsvereinbarungen mit der UN, Regierungen und anderen internationalen Partnern getroffen werden, sinkt das Bildungsniveau in Afrika weiter und wir sind unfähig dem zu begegnen. Es gehen zwar aktuell mehr Mädchen und auch Kinder aus sehr armen Verhältnissen in die Schule. Das Problem aber bleibt: Unterricht von extrem schlechter Qualität bringt Kindern nicht viel. Wir brauchen aber gute Bildung, um konkurrenzfähig zu sein und unsere Gesellschaften zu entwickeln. Der neueste Report der Weltbank erklärt, dass 46 Prozent der heute in Ghana geborenen Kinder aufgrund schlechter Bildung später nicht produktiv zur Entwicklung der Gesellschaft beitragen werden.
Was läuft da schief?
Ofei: Afrika wurde leider über viele Jahre auch Opfer schlechter Berater, was passende Bildungssysteme betrifft. Aber auch unsere Regierungen sind nicht unschuldig. Aufgrund der Armut akzeptieren sie viel zu schnell Lösungen von außen, ohne sie kritisch zu prüfen. Das hat uns schon die letzten 20 Jahre nicht weitergebracht.
Warum ist das College in Ghana notwendig und was macht es besonders?
Ofei: Wir verfolgen einen ganzheitlichen Bildungsansatz. Es geht bei uns nicht nur um das Erlernen von Standarddisziplinen wie beispielsweise Naturwissenschaften oder Sprachen. Sondern wir fördern auch die Sozialkompetenz der Kinder, sowie lösungsorientiertes, kreatives, unternehmerisches und kritisches Denken. Werte wie Integrität, Empathie und Verantwortungsbewusstsein für sich und die Gemeinschaft, in der man lebt, stehen bei uns dabei immer im Fokus.
Wir glauben daran, dass qualitativ hochwertige Bildung die Basis für die Entwicklung einer Gesellschaft ist. Deshalb schauen bei uns Kinder nicht nur in Bücher, sondern werden aktiv mit ihrer Umwelt konfrontiert, samt den Herausforderungen wie Armut, Umweltzerstörung oder Gesundheitsrisiken. Die Kinder gehen also in die Gemeinden und schauen sich die Probleme an. Im nächsten Schritt erarbeiten wir mit ihnen Lösungen. Die Schüler haben ein Mikrokredit-System entwickelt, um Frauen in der Gemeinde zu unterstützen. Andere haben Geld gesammelt für Brutkästen in einem lokalen Krankenhaus, um die Säuglingssterblichkeit zu senken. So bringen wir ihnen bei, verantwortungsvoll und lösungsorientiert zu denken und zu handeln.
Gute Bildung ist eines. Aber ohne Jobs…?
Ofei: Die Situation ist in der Tat nicht rosig. Aber aufgrund der Bildung, die wir bieten können, bekommen Kinder, die bei uns gelernt haben, meist auch einen Job. Die Privatwirtschaft braucht junge, kreative und motivierte Leute. "Unsere" Kinder bekommen die Jobs, weil sie gelernt haben, breiter zu denken und eine ausgeprägte Sozialkompetenz aufweisen. Selbst im staatlichen Sektor wird ihre Kompetenz geschätzt. Wir dienen aktuell als Vorbild für ein modernes Bildungssystem.

Was ist also die Lösung, um Afrika endlich von der Hilfsgelder-Nabelschnur zu befreien?
Ofei: Erstens sollten wir uns bewusst werden, dass uns nur gute Bildung aus der Abhängigkeit führen wird. Dafür muss man auch die arme Bevölkerungsschicht sensibilisieren. Unsere Regierungen können die Verantwortung dafür nicht allein übernehmen.

Drittens sollten wir wieder anfangen stolz auf unsere Herkunftsländer und Heimat zu sein. Denn ich bin überzeugt, dass letztlich nur wir selbst, unsere Probleme lösen. Aber dafür brauchen wir unbedingten Willen zur Veränderung und Liebe für unsere Heimatländer.
Wir bilden hier Kinder aus, die, so bin ich überzeugt, einen wichtigen Teil, zum Fortschritt Afrikas beitragen werden. Das ist unser Ziel und meiner Meinung nach, der Weg aus der Misere.