Wahdat ist als Minderjähriger aus Afghanistan geflohen und hat im „Biwak“ des SOS-Kinderdorfs in Tirol gelernt, sein Leben selbst zu meistern.
Im Alter von 13 Jahren machte sich Wahdat im Frühjahr 2015 auf die Flucht. Die Taliban waren nachts in sein Elternhaus eingedrungen. Sie rekrutierten damals gerne Söhne von Polizisten, wie Wahdats Vater einer war. Wahdat floh aus dem Haus, sprang über eine Mauer. Daraus wurde ein sehr großer Sprung: Er ließ ein Zuhause, seine Familie, seine Kindheit hinter sich.
Zwei Jahre lang dauerte sein entbehrungsreicher Weg nach Westen. Schlepper führten ihn und andere Menschen durch die Wüste, über Dünen und hohe Berge, dann über die gefährliche Balkanroute. Oft war es sehr heiß oder sehr kalt, sagt er. Einmal verletzte er sich an der Hand, einmal am Bein. Dann kam der 26. August 2017. "Ich habe Windräder gesehen und wusste, dass ich in Österreich bin. Ich war sehr glücklich", erinnert er sich. In der Asylunterkunft in Oberösterreich, in der er zunächst lebt, erfuhr der damals 15-Jährige von den SOS-Kinderdörfern und dem "Biwak" in Innsbruck, Tirol. In dem Projekt bekommen unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ein Zuhause auf Zeit, sie leben in einer Wohngemeinschaft und werden von Pädagogen bei ihrer Integration unterstützt. "Das hat mich interessiert", sagt Wahdat. "Ich dorthin gefahren und habe mich vorgestellt". Als eine Weile später Platz frei wird, zieht er ins „Biwak“. Die familiäre Atmosphäre hilft ihm, seine neue Heimat zu verstehen.
"Ich fühlte mich wie ein Kind"
"Als ich in Österreich ankam, fühlte ich mich wie ein Kind, das in eine andere Welt hineingeboren wurde", erinnert er sich. "Ich hatte zuvor noch nie gesehen, dass Mädchen kurze Hosen tragen und mit Jungs in einer Klasse sitzen." Neu war für ihn auch, dass hier "die Leute einen Plan haben", dass das Leben der Menschen in Etappen geordnet ist, einem Ziel zuläuft. "Meine Betreuer haben mir alles beigebracht", sagt er. Mit "alles" meint er: Die Sprache, Gepflogenheiten, bürokratische Abläufe, die Gesetze, das Asylrecht.
Sorge um die Mutter
Während er im Biwak lebt, besucht er die Mittelschule und schließt sie erfolgreich ab. Inzwischen hat Wahdat das Biwak verlassen. Er hat eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann begonnen. Zwei Jahre hat er schon absolviert. Doch das vergangene Jahr hat er ausgesetzt. Dass die Taliban die Macht in Afghanistan übernommen haben, hatte Wahdat in große Sorge gestürzt. So war er eine Zeitlang vornehmlich damit beschäftigt, alles in die Wege zu leiten, um seine Mutter und seine Geschwister nach Österreich nachzuholen. Sein Vater ist noch in Afghanistan. Auch ihn hofft Wahdat in Sicherheit zu bringen. Aber jetzt, wo Wahdat schon einen Teil seiner Familie geborgen weiß, will er sich wieder auf sich konzentrieren und seine Lehre zu Ende bringen. Sein Ausbildungsplatz wartet auf ihn. Denn im "Biwak" der SOS-Kinderdörfer habe er gelernt, so sagt er: "Man braucht einen Plan fürs Leben."