Die Ehe der 13-jährigen Amina war schon geplant. Doch Amina setzte sich zur Wehr – mit Unterstützung des SOS-Kinderdorfs Khulna in Bangladesch.
"Ich bin absolut gegen Kinderehen. Mädchen sollten erst dann heiraten, wenn sie einen Schulabschluss und eine Ausbildung haben und finanziell unabhängig sind", sagt Amina, sie sitzt mit eng angezogenen Beinen auf einer Wiese. Ein Mädchen, das wenig Platz einnimmt. Sie trägt ihr Haar zu Rattenschwänzen hochgebunden. Vielleicht das Kindlichste an der heute 15-Jährigen, deren Miene meist ernst bleibt. Entschlossenheit und Mut brachten Amina dazu, sich gegen die Heiratspläne ihrer Familie aufzulehnen, und die SOS-Kinderdörfer um Hilfe zu bitten.
Haushalt und Kinderkriegen statt Bildung und Selbstbestimmung
Amina lebt mit ihrer Großmutter und der Familie ihres Onkels in der Region Khulna im Süden Bangladeschs. Ihre Eltern haben sich früh getrennt. Als die Mutter wieder heiratete, gab sie ihre Tochter zur Großmutter. Denn in Bangladesch ist es unüblich, dass Frauen Kinder aus vorherigen Beziehungen mit in die Ehe bringen.
Doch mit der Zeit kostete es die betagte Großmutter immer mehr Kraft, für die Enkelin zu sorgen. So entschied Aminas Onkel, sie aus der Schule zu nehmen und die 13-Jährige zu verheiraten. In dem südasiatischen Land kein ungewöhnlicher Lebensweg für ein Mädchen.
Obwohl das Mindestheiratsalter für Mädchen seit 2017 gesetzlich bei 18 Jahren liegt, sind rund 38 Millionen der heute 20- bis 24-jährigen Frauen als Minderjährige verheiratet worden, davon 13 Millionen noch vor dem 15. Lebensjahr. Gerade die Region Khulna hat eine der höchsten Kinderehen-Raten, etwa 62 Prozent der Mädchen werden dort früh verheiratet.
Für die hohe Kinderehen-Rate gibt es viele Gründe. Jubear, Sozialarbeiter des SOS-Kinderdorfs Khulna und Aminas Betreuer, sagt: "Der Haupttreiber ist die wirtschaftliche Not der Menschen. Aufgrund des Klimawandels kommt es zum Beispiel immer öfter zu Naturkatastrophen. Sie zerstören die Lebensgrundlage von Familien, die ohnehin schon am Existenzminimum leben. Ist die Tochter aus dem Haus, sinkt die finanzielle Belastung. Zudem glauben die Eltern ihr Kind sei durch den Ehemann gut versorgt."
"Eltern glauben, ihre Töchter sind gut versorgt, haben einen höhren sozialen Status, wenn sie früh heiraten."
Eine Folge der Kinderehen ist aber auch, dass die Mädchen ihr Recht auf eine selbstbestimmte Lebensführung verlieren. Die meisten gehen dann nicht mehr zur Schule, sind sozial isoliert, missbräuchlichen Beziehungen ausgesetzt und werden früh schwanger.
In ländlichen Gebieten ist die Zahl der Kinderehen besonders hoch.
"Die Menschen denken, das sei normal, weil es alle immer so machen", erklärt Jubear, "in den ländlichen Gebieten spielen die Sorge um die Familienehre und tradierte Geschlechternormen eine enorme Rolle – zum Beispiel, dass Mädchen erst durch ihre Heirat einen sozialen Status erlangen."
Amina will lernen, nicht heiraten
Vor diesem Hintergrund zeugt das Aufbegehren der damals 13-jährigen Amina außergewöhnlich großem Mut: Im Frühling 2023 erfährt sie von einer Freundin, dass das SOS-Kinderdorf Khulna ihr vielleicht helfen könnte. Amina macht sich sofort auf den Weg dorthin und berichtet von ihrer Not. Daraufhin besuchen Mitarbeitende des SOS-Kinderdorfs ihre Familie.
Jubear erinnert sich: "Zuerst reagierten Großmutter und Onkel feindselig, aber wir konnten uns bald annähern. Wir erklärten ihnen die Folgen für Aminas Leben, und dass die Kinderehe auch rechtliche Konsequenzen haben würde. Die Großmutter erzählte unter Tränen ihre finanziellen Sorgen und Zukunftsängste."
Die Familie sagte die Heirat ab unter der Bedingung, dass Amina von den SOS-Kinderdörfern Unterstützung bekäme. Also wurde sie in das Familienstärkungsprogramm der SOS-Kinderdörfer aufgenommen, ihr weiterer Schulbesuch stand damit nicht länger zur Diskussion. Seitdem erhält sie monatlich rund 22 Euro, mit denen ihre Ausgaben für Lebensmittel gedeckt sind, auch die Schulgebühren werden übernommen.
Dass sie eine äußerst begabte Schülerin ist, würde sie selbst nie von sich sagen, erzählt ihr Betreuer Jubear. Ihr Lieblingsfach ist Mathe: "Ich bin so froh und dankbar, dass ich mit der Schule weiter machen kann. Ich will einen guten Abschluss machen und Bankkauffrau werden."
532 Mädchen erhalten derzeit im Rahmen des Familienstärkungsprogramms in Khulna Zugang zu Bildung und Aufklärungskursen zu Kinderrechten und Geschlechtergerechtigkeit. Jubear hofft, so viel Mädchen wie möglich vor Kinderehen bewahren zu können und betont Aminas Vorbildfunktion: "Aminas Weg ist ein Zeichen für viele Mädchen, die noch Mut sammeln müssen, um gegen die gesellschaftlichen Zwänge aufzubegehren und sich Hilfe zu suchen."
Bildung statt Armut!
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Ohne Bildung bleiben Kinder in Armut gefangen – oft ein Leben lang. Sie arbeiten, statt zu lernen, heiraten früh oder landen auf der Straße. Gemeinsam geben wir Kindern eine Zukunft – und beenden die Armut von morgen. Helfen Sie mit, unser Spendenziel von 1 Mio. Euro bis zum 31. Oktober zu erreichen!
Das südasiatische Land hat eine der höchsten Kinderehen-Raten weltweit, besonders hoch ist die Quote in ländlichen Gebieten.
Betroffen sind überwiegend Mädchen. 2023 sind 8,2 Prozent der Mädchen vor Erreichen des 15. Lebensjahr verheiratet worden.
Obwohl das gesetzliche Mindestheiratsalter bei 18 Jahren liegt und trotz Initiativen, die sich für die Abschaffung von Kinderehen stark machen, nimmt die Zahl der Kinderehen in den letzten Jahren wieder zu. Das liegt auch an einer unzureichenden Strafverfolgung.
Wie das Familienstärkungsprogramm der SOS-Kinderdörfer Bangladesch hilft
Das Familienstärkungsprogramm wird 2025 an sieben Standorten in Bangladesch durchgeführt, es nehmen 21.440 Kinder und Erwachsene daran teil.
Unter anderem werden Eltern und andere Betreuungspersonen sowie einflussreiche Gemeindemitglieder in Workshops für Kinderrechte sensibilisiert, insbesondere für die schädlichen Folgen von Frühverheiratung und Kinderarbeit.
Zur Stabilisierung der Eltern-Kind-Beziehungen erhalten mehr als die Hälfte der erwachsenen Programm-Teilnehmenden Schulungen zu positiven Erziehungsmaßnahmen.
Rund 46 Prozent der Eltern und Betreuungspersonen werden psychosozial unterstützt.
Um die Eigenständigkeit der Familien zu fördern, gibt es für Eltern Bildungs- und Weiterbildungsangebote, auch wird Kindern und Jugendlichen bei der Schul- bzw. Berufsausbildung geholfen.