"Mein Name ist Alisa, bald werde ich 16 – und ich liebe mein Leben!" Alisa verlor früh ihre Mutter – doch das war nicht der einzige schwere Schicksalsschlag in ihrem jungen Leben. Warum Alisa heute trotzdem vor Lebensfreude sprüht, erzählt sie Ihnen am besten selbst:
Ich war drei, mein Bruder Philip fünf, als unsere Mutter starb. Wir kamen in ein Waisenhaus, aber schon nach zwei Wochen holte unsere Tante Lena uns zu sich. Ich ging in den Kindergarten, später, wie mein Bruder, zur Schule. Lena ging zur Arbeit und an jedem Abend saßen wir zusammen, aßen, erzählten, lachten viel. Ich liebte Lena. Es dauerte nicht lange, bis ich sie Mama nannte.
Mama Lena hat sich verändert
Es hätte ewig so bleiben können. Aber dann, nach acht Jahren, veränderte sich Lena, anfangs nur ein bisschen. Sie wurde stiller, lachte etwas weniger. Bald hatte Lena ständig schlechte Laune. Ich glaube, dass etwas passiert ist, was sie nicht verkraftet hat.
Dann begann Lena zu trinken und alles wurde richtig schlimm. Ich sagte mir, dass ich mich nur genug anstrengen müsse, damit alles wieder wie früher würde. Ich verhandelte mit Lena: "Ich mache meine Hausaufgaben nur, wenn du heute nichts trinkst." Sie versprach es jedes Mal – und hielt ihr Versprechen nie. Ich war elf, ich hätte alles für sie getan.
Der Tag, der alles veränderte
Eines Tages, als ich in der Schule war, rief ein Nachbar an: Lena hatte sich die Pulsadern aufgeschnitten. Ich rannte zum Krankenhaus, blieb die Nacht über an ihrem Bett. Sie überlebte, aber für Philip und mich konnte sie nicht länger sorgen. Die Ärzte erklärten uns, dass in ihrem Kopf etwas durcheinander geraten sei und sie in einer Klinik behandelt werden müsse.
Wieder kamen Philip und ich in ein Waisenheim. Nach ein paar Tagen besuchten uns zwei Leute. Sie kamen vom SOS-Kinderdorf Kandalaksha und schlugen uns vor, mit ihnen zu kommen. Ich vermisste Lena, vertraute niemandem im Kinderdorf, war wie versteinert. Ich redete mir ein, sowieso bald wieder zu Lena zu kommen. Bis zu dem Tag, als mich der Kinderdorfleiter zu sich holte: Lena hatte einen Brief geschrieben, in dem stand, dass sie sich weigere, uns wieder aufzunehmen. Die Sätze hallten durch meinen Kopf. Mama Lena liebte uns nicht mehr!
Neuanfang im Kinderdorf
Ich weinte die ganze Nacht. Am Morgen spürte ich Erleichterung. Inmitten meines Scherbenhaufens verstand ich intuitiv, dass es Zeit war, wieder mit dem Leben zu beginnen.
Mein Bruder und ich leben inzwischen seit vier Jahren im SOS-Kinderdorf und heute kann ich sagen, dass ich mich hier wohl fühle. Ich bin ein ganz normaler Teenager, gehe zur Schule, liebe Biologie und Soziologie, Musik, Bücher und die Natur. Später möchte ich Soziologie studieren.
Tiefe Dankbarkeit
Ich werde die Menschen im SOS-Kinderdorf nie vergessen. Sie waren für mich da, waren mein Felsen. Ich bin meiner Kinderdorf-Mutter dankbar dafür, dass sie alles für mich getan hat, obwohl mein Herz schon vergeben war an Mama Lena. Sie hat das verstanden und mich trotzdem bedingungslos geliebt.
Ich habe Lena verziehen, weil ich heute weiß, dass sie ein guter Mensch ist. Es war sie, die damals beim SOS-Kinderdorf angerufen hat. Es geht ihr besser, sie trinkt nicht mehr, ich wünsche ihr nur Gutes. Ich habe auch aufgehört, mich selbst anzuklagen. Das alles war nicht meine Schuld!
Mein Name ist Alisa, bald werde ich 16 – und ich liebe mein Leben!
Alisa