Warum in der Klimakrise miteinander sprechen so wichtig ist

Was ich in Italien von einer Gruppe Jugendlicher lernen konnte

"Wie fühlst du dich, wenn du an die Klimakrise denkst?" Ich war der festen Überzeugung, dass die Antwort in die Richtung Angst, Sorgen oder auch Wut gehen würden. Womit ich nicht gerechnet hatte, waren Schulterzucken oder Aussagen wie „Das interessiert mich nicht“. Noch weniger hatte ich erwartet, dass ich von einer Gruppe Jungs aus Mailand noch so einiges über die Klimakrise lernen würde.

Aber der Reihe nach: Ich komme während meines Aufenthaltes im Feriencamp der SOS-Kinderdörfer in Caldonazzo mit dem 15-jährigen Lio aus Mailand ins Gespräch. Er lebt in einer Wohngruppe mit anderen Jungen, alle im Alter von 14 bis 19, alle mit ganz unterschiedlichen Wurzeln: Sie kommen aus Brasilien, Eritrea, Marokko – oder wie Lio selbst von den Philippinen. 

Irgendwann sprechen wir auch über die Klimakrise und ich will wissen, was das Thema für ihn bedeutet. Lio erzählt, dass er in der Schule viel zu dem Thema lernt: Seine Klasse geht Müll sammeln und hat ein Recycling-Projekt. "Wenn ich über die Klimakrise nachdenke, bin ich traurig. Es kann sein, dass wir irgendwann Dinge nicht mehr tun können, die uns wichtig sind. Vielleicht können wir mit unseren Kindern einmal nicht an den See gehen, weil er austrocknet."

"In der Vergangenheit musste ich immer an alles denken, das will und kann ich gerade nicht mehr. Ab einem gewissen Alter werde ich aber auch wieder über die Zukunft nachdenken."

Alberto aus Brasilien
Von den Jungs aus Mailand können wir lernen, wie wichtig Zusammenhalt in der Klimakrise ist. Foto: Leonie Fößel

Nach und nach kommen die anderen Jungen der Wohngruppe dazu. Einer von ihnen, Pepe, hat serbische Wurzeln und rappt gerne. Der 19-Jährige spricht voller Sarkasmus, voller Wut, voller zur Schau gestellter Stärke. Als ich ihn frage, wie die Klimakrise ihn beeinflusse, kommt die knappe Antwort: "Ist mir egal. Mir geht es darum, dass ich heute lebe und nicht um morgen." Matteo pflichtet ihm bei, der 19-Jährige kommt aus Peru und hat eine kleine Tochter. Ob er sich um sie keine Sorgen mache, frage ich. Matteo schüttelt den Kopf.

Ihre Betreuerin Stefania sagt, dass viele der Jungs traumatische Erlebnisse in ihrem Leben hatten und ihnen deshalb Sicherheit das Wichtigste ist. Pepe will doch etwas sagen, er hat nachgedacht: "Es ärgert mich, wenn die Leute Plastikflaschen ins Meer schmeißen. Das ist schlecht für die Fische, und am Ende landet es auch in mir." Der 17-Jährige Alberto nickt zustimmend. Der Brasilianer würde gerne mit mir über die Klimakrise sprechen, er wisse aber nichts darüber. Denn: "In der Vergangenheit musste ich immer an alles denken, das will und kann ich gerade nicht mehr. Ab einem gewissen Alter werde ich aber auch wieder über die Zukunft nachdenken."

Durch die Worte der Jugendlichen merke ich: Wenn die Probleme so viel akuter sind, wenn es darum geht, den heutigen Tag zu überleben, fällt es schwer, sich auch noch Gedanken über die Klimakrise machen. Was mir auffällt, ist, dass viele der Jungs denken, nichts über den Klimawandel zu wissen – doch als wir weitersprechen, stellt sich heraus, dass sie eben doch einiges wissen und beobachten. 

Ich erzähle ihnen, dass in meiner Kindheit Schnee im Winter ganz normal war, aber dass wir inzwischen in Deutschland immer weniger Frost und Schnee haben. Auf einmal reden sie durcheinander auf mich ein, in einer Mischung aus Spanisch, Italienisch und Englisch. Sie haben auch etwas gemerkt: "Der August war dieses Jahr viel zu warm!" "Und wisst ihr noch, überall in Süditalien hat es gebrannt vor einigen Wochen." Lio erinnert sich, dass es manchmal im Winter Schnee gab in Mailand, als er noch klein war. Besonders schön ist es, dass auch Pepe viel mitdiskutiert – er, dem angeblich alles egal ist.

Wir reden darüber, dass die Stürme und Regenfälle heftiger werden. Schließlich zeige ich ihnen am Smartphone Videos von der Flutkatastrophe in Westdeutschland. Sie sammeln sich um das Display, schweigend, die Gesichter betroffen. Matteo wirkt nachdenklich, als ich sage, dass durch die Klimakrise solche Katastrophen häufiger auftreten werden. Vielleicht denkt er an seine kleine Tochter?

"Die Erwachsenen denken immer nur ans Geld. Hört auf, die Wälder zu zerstören und die Pflanzen- und Tierwelt auszurotten! Hört auf, Müll in die Meere zu kippen!"

Luca aus Eritrea

Gabriele (14) hat in der Schule eine Schularbeit über den Klimawandel geschrieben: "Die Bäume sind die Lunge der Erde“, sagt er. Auch wenn er in seinem täglichen Leben nichts vom Klimawandel spüre, "je mehr ich darüber nachdenke, umso betroffener bin ich, wenn ich an meine Kinder in der Zukunft denke". Luca (17) sagt schüchtern, dass er über die Klimakrise nichts weiß. Dann sprudeln die Worte aus ihm hervor, die das genaue Gegenteil beweisen. "Das Eis schmilzt. Tiere sterben, wir Menschen zerstören die Natur. Darüber bin ich traurig." Er hängt auch eine Forderung an die Erwachsenen an: "Sie denken immer nur ans Geld. Hört auf, die Wälder zu zerstören und die Pflanzen- und Tierwelt auszurotten! Hört auf, Müll in die Meere zu kippen!" 

Das Gespräch mit den Jungen aus Mailand bewegt viel in mir. Ich komme aus der Umweltwissenschaft, für mich ist das Thema Klimakrise und die Auswirkungen, die vor allem Kinder und Jugendliche betreffen werden, nichts Neues. Doch für diese Jungs, die so viel erlebt haben in ihrem Leben, zählt das Leben heute, sie wünschen sich Sicherheit. Das ist eine wirklich wichtige Erkenntnis für mich. Trotzdem: Unser Gespräch zeigt, dass sie doch so einiges von der Klimakrise wissen und wie wichtig es ist, ihnen zuzuhören, sie ernst zu nehmen und ihnen zu erklären, dass sie die Macht haben, die Welt zu verändern. Als ich sie fotografiere, sind sie für einen kurzen Moment vor allem eins: Jungs, die herumalbern, lachen und nur im Augenblick leben. 

Die Jugendlichen wissen mehr von der Klimakrise als sie denken. Es ist wichtig, ihnen zuzuhören, sie ernst zu nehmen und ihnen zu erklären, dass sie die Macht haben, die Welt zu verändern.

Das Schönste für mich ist, dass unser Gespräch am Caldonazzo-See wohl auch die Jugendlichen inspiriert hat: Ihre Betreuerin schrieb mir vor einigen Tagen eine Nachricht, dass sie auf den globalen Klimastreik am 24. September gehen wollen. Das zeigt einmal mehr, wie wichtig es ist, dass wir einander zuhören und gemeinsam an einer neuen Welt arbeiten, die besser und gerechter für alle ist. 

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