Als Nour* ausgesetzt wurde, war er etwa ein Jahr alt. Er landete in einem Waisenhaus, wo er jahrelang Vernachlässigung und Misshandlungen erlitt. Mit sechs kam der traumatisierte Junge dann ins SOS-Kinderdorf Hargeisa in Somaliland. Dort musste Nour erst lernen, Vertrauen zu fassen – zu anderen und in sich selbst.
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Als sein Name im Lautsprecher ertönt, brandet im vollbesetzten Saal lauter Applaus auf. Nour kommt mit strahlendem Gesicht nach vorne. In seinen Augen leuchtet unbändiger Stolz. Seine SOS-Kinderdorf-Mutter Hodan ist an seiner Seite und streicht ihm mit der Hand zärtlich über den Rücken. Nour wird auf der Schulabschlussfeier als einer der Besten seiner Klasse ausgezeichnet! Dabei hatte der Junge bis vor kurzem mit großen Lernschwierigkeiten in der Schule zu kämpfen – und das war nur eine von vielen Folgen des Traumas, das der Junge erlitten hatte.
Wenn man Nour nach seiner Vergangenheit fragt, wird seine Stimme leise, er stockt. Die Erinnerung ist dunkel und schmerzt.
"Er war höchstens ein Jahr alt, als er in einem Krankenhaus ausgesetzt wurde", sagt Muna, Sozialarbeiterin des SOS-Kindedorfs Hargeisa in Somaliland. Seine Mutter brachte ihn damals in die Klinik, um ihn wegen Mangelernährung behandeln zu lassen - und verschwand. Alle Nachforschungen nach seiner Herkunftsfamilie blieben erfolglos, bis heute.
Von der Klinik kam der Junge in ein staatliches Waisenhaus. In dem überfüllten Heim wurden die Mädchen und Jungen vernachlässigt und unter ihnen herrschte eine rohe Hackordnung. Nour wurde von älteren Kindern immer wieder geschlagen, einmal wurde ihm ein Finger gebrochen.
Alpträume
Als Nour sechs Jahre alt war, kam er zusammen mit anderen Kinder aus dem Heim ins SOS-Kinderdorf in Hargeisa. Schnell zeigte sich, dass der magere Junge schwer traumatisiert war.
"Er schlief schlecht, hatte Alpträume und kam nachts oft zu mir", erzählt seine SOS-Kinderdorf-Mutter Hodan. Der Junge suchte ihre Nähe, begann Vertrauen zu ihr zu fassen - doch nach draußen gehen wollte er nicht. "Mit den anderen Kindern hat er nicht gespielt, oder nur mit Jüngeren, und er schlug nach ihnen." Wie sie reagiert hat? "Ich habe ihm gesagt: Das hier sind nicht die Kinder, die dir weh getan haben, sie sind klein und schwächer als du. Dann wurde es besser."
In der Schule hagelt es Beschwerden
Lange konnte Nour nicht stillsitzen, stand etwa beim Essen immer wieder vom Tisch auf, wenn er einen Bissen genommen hatte. Er sprach mit sich selbst, konnte sich nicht konzentrieren. Hodan gab ihm viel Zuwendung und zeigte Geduld. Doch im Kindergarten und später in der Schule hagelte es Beschwerden. Nour stritt sich ständig mit anderen Kindern, störte den Unterricht, warf seine Bücher herum oder zerschnitt sie.
"Jedes Mal, wenn ich mit seinen Lehrer:innen sprach, beklagten sie sich über seine Leistungen. Sie sagten, dass er nicht lesen oder schreiben könne und es schwer sei, die nächste Klasse zu bestehen", erzählt Hodan. Sie lernte mit Nour und unterstützte ihn bei den Hausaufgaben. Doch die Fortschritte blieben zunächst gering. Also wandte sie sich an den Leiter des SOS-Kinderdorfs und schlug vor, Nour durch einen Tutor zu fördern. "Davon hatte ich bei einer Fortbildung gehört." So wurde ein Student engagiert, der Nour nicht nur Nachhilfeunterricht gab, sondern für ihn auch so etwas wie ein großer Bruder wurde und mit ihm Ausflüge in die Stadt unternahm.
Nour blüht auf
Bald wurden Nours Noten besser, schließlich sogar sehr gut. Vor allem: Sein Selbstvertrauen wuchs - und er begann aufzublühen. "Nour hat gewaltige Fortschritte gemacht", sagt Hodan und lächelt.
Heute hat der aufgeweckte Junge viele Freunde, er spielt gerne Fußball, liest viel und bringt seine Geschwister in seiner SOS-Kinderdorf-Familie mit lustigen Geschichten zum Lachen. Was Nour einmal werden will? Der 10-Jährige denkt kurz nach, dann nennt er gleich zwei Traumberufe:
"Ich will Wissenschaftler werden und Tiere erforschen. Oder Pilot. Dann lerne ich viele andere Länder kennen – und ich will wissen, wie da oben der Himmel aussieht."
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*Name geändert