Seit zwei Jahren schweigen die Waffen, doch die Spuren des Bürgerkriegs sind in Nord-Uganda allgegenwärtig. Gelitten haben vor allem die Schwächsten: schutzlose Mädchen und Jungen wie Anguu, Nono und Quinto. Der Krieg hat ihnen die Eltern genommen und tiefe Wunden in ihren Kinderseelen hinterlassen. Im SOS-Kinderdorf Gulu haben 106 Waisenkinder ein neues Zuhause gefunden. Dort wachsen sie in Sicherheit und der Geborgenheit einer SOS-Familie auf. Eine Reportage von Thomas Trescher und Florian Gasser:
Es liegt etwas in der Luft. Im nordugandischen Gulu ist Anfang August jene Zeit angebrochen, in der die zwei heißen Trockenmonate durch die kühle Regenzeit abgelöst werden. Tiefschwarze Wolken hängen bereits seit Stunden über der Stadt, jede Minute wird der Regen erstmals einsetzen - er bringt ersehnte Abkühlung genauso wie die Gefahr von Überschwemmungen, denn wenn es in Gulu regnet, regnet es heftig und ausdauernd. Auch unter den Kindern ist der Wetterumschwung das Thema des Tages: Der fünfjähriger Bosco schreit auf, er wirft sich auf den Boden, drei seiner Freunde tun es ihm gleich. Nur Anguu bleibt wie angewurzelt sitzen. Sie wagt es nicht, sich zu bewegen. "Sie sind zurück. Und sie töten wieder Menschen", raunt die Elfjährige geistesabwesend, mehr zu sich selbst als zu sonst jemandem. Ein paar Augenblicke später setzt heftiger Regen ein, die Kinder atmen auf. Es war ein Donner, "sie" sind nicht zurück. Keine halbe Minute später toben sie ausgelassen im Regen, als wäre nichts gewesen.
Brüchiger Frieden nach 20 Jahren LRA-Terror
"Sie", das sind die Rebellen der "Lord’s Resistance Army" (LRA). Seit zwanzig Jahren kämpfen sie unter der Führung des selbsternannten "Mediums" Joseph Kony gegen die ugandische Regierung und für die Errichtung eines christlichen Gottesstaates auf der Grundlage der zehn Gebote. Im Zuge ihres Kampfes haben sie allerdings jedes einzelne dieser Gebote bis zur Perversion gebrochen. Entführungen, Vergewaltigungen, Verstümmelungen, Morde: Die Liste der Verbrechen, die die LRA an der Zivilbevölkerung Nordugandas begangen hat, ist lang. Und auch von Seiten der Regierungstruppen - deren Aufgabe es war, die Zivilbevölkerung zu beschützen - ist es zu Kriegsverbrechen und Massakern gekommen. Als "größte vergessene humanitäre Katastrophe der Welt" bezeichnete der UN-Hilfskoordinator Jan Egeland den Konflikt in Norduganda 2003. Zwei Millionen Menschen wurden aus ihren Dörfern vertrieben, 25.000 Kinder soll die LRA entführt, viele davon zu Kindersoldaten oder Sexsklaven gemacht haben. Wie viele Menschen in dem Konflikt bis heute getötet wurden, traut sich niemand zu schätzen. Internationaler Druck brachte die LRA und die ugandische Regierung vor zwei Jahren an den Verhandlungstisch im südsudanesischen Juba. 2007 wurde ein Friedensvertrag ausgehandelt, den Kony bis heute nicht unterschrieben hat. Dennoch: Seit zwei Jahren herrscht ein fragiler Frieden in Norduganda. Die Menschen versuchen nach über zwanzig Jahren Krieg zum Alltag überzugehen.
Sicherer Zufluchtsort im SOS-Kinderdorf
Die SOS-Kinderdörfer sind seit 1988 in Uganda aktiv. Das erste Projekt entstand in Kakiri, nahe der Hauptstadt Kampala im Süden des Landes. Im Juni 2002 etablierte SOS-Kinderdorf-Uganda, das seit 1997 als eigener Rechtsträger fungiert, ein erstes Nothilfeprojekt in Gulu. Gulu ist mit etwa 150.000 Einwohnern die größte Stadt im Norden Ugandas. Für die Menschen - und vor allem die Kinder - aus den umliegenden Dörfern diente sie während der Rebellenattacken als Zufluchtsort: Tausende Kinder - so genannte "Night Commuters" - wanderten Abend für Abend viele Kilometer in der Dämmerung in die Stadt, um dort Schutz vor Entführungen zu suchen. Viele von ihnen hatten ihre Eltern während der Angriffe der Rebellen verloren. Sich um sie zu kümmern war das erste und größte Anliegen des SOS-Projekts. Mittlerweile leben 106 Kinder im SOS-Kinderdorf am Rande der Stadt.
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