"Das SOS-Kinderdorf war ein Geschenk"

Karl Moser, Jahrgang 1946, kam als 11-jähriger ins SOS-Kinderdorf Imst. Hier blickt er auf seine Zeit im Kinderdorf, seine Jugendstreiche und seine Begegnungen mit SOS-Kinderdorf-Gründer Hermann Gmeiner zurück und verrät, was ihm die SOS-Kinderdörfer bedeuten.

 

Karl Moser (Mitte) als Kind inmitten seiner Geschwister im SOS-Kinderdorf Imst, Österreich
Herr Moser, vor 53 Jahren kamen Sie ins SOS-Kinderdorf: Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Tag?
Meine Mutter hat mich begrüßt und beim Anblick meiner Schulhefte gestöhnt: „Schon wieder so einer!“ Sie meinte damit meine schlechten Schulnoten. Mein Hoffnungsschimmer an jenem Tag war mein SOS-Bruder Franz. Er hat mich gleich an die Hand genommen und mir unser Haus gezeigt. Das hat das Eis gebrochen. Durch ihn habe ich mich sofort zuhause gefühlt. Meiner Mama gegenüber war ich anfangs doch etwas distanzierter.

 

SOS-Kinderdorf steht für Momente geglückter Kindheit: Haben Sie einen besonderen Erinnerungsmoment?
Am liebsten habe ich mich bei ‚Tante Kalier’ in der Bastelstube aufgehalten; sie war Kunsterzieherin und eine weltoffene Frau. Sie hat Kindern große Wertschätzung entgegengebracht und alle ernst genommen. Stundenlang saß ich bei ihr und werkelte. Sie war ein Meilenstein in der Heilung meines Herzens. Und ein Segen für neugierige und aufnahmebereite Kinder.

 


Karl Moser mit seinem Enkel
Verraten Sie uns ein paar Streiche aus Ihren Kindertagen?
Wir waren ja fast nur Buben bei uns im Haus Weihnacht, da kann man sich vorstellen, dass wir Schlingel waren! Wir hatten viele Freiheiten und lebten wie Tom Sawyer und Huckleberry Finn, unbeschwert und nah mit der Natur. Am liebsten haben wir Indianer gespielt und mit „Brandpfeilen“ aus Heu und Harz so manche Wiese in Brand gesteckt…
Auch hat uns unsere SOS-Mutter morgens stets so früh losgeschickt, dass vor der Schule noch Zeit für den Kirchgang war. Abwechselnd ging einer von uns aus der Familie in die Kirche, um uns für eventuelle Nachfragen unserer Mutter berichten zu können, was der Herr Pfarrer gepredigt hat. Wir anderen saßen inzwischen mit Freunden am Wegrand und haben unsere Hausaufgaben voneinander abgeschrieben.

 

 


Unterwegs mit seinen beiden Söhnen
Wie ging der Kontakt zu Ihrer Familie nach Ihrem Auszug aus dem SOS-Kinderdorf weiter?
Ich kam zwar nach Innsbruck, aber habe während der Ausbildung meine Geschwister und Mama gerne besucht. Heute habe ich zu den Geschwistern, die in meinem näheren Umfeld leben, guten Kontakt und einige meiner besten Freunde kenne ich aus der Zeit in Imst.

 

Sie haben das SOS-Kinderdorf von beiden Seiten erfahren – als Kind und später als Mitarbeiter. Was hat es Ihnen bedeutet, für die Organisation zu arbeiten?
Ausschlaggebend für mich war Hermann Gmeiner. Der hatte Pläne mit mir! Er sagte: „Du kommst jetzt zu uns!“ Das war der wichtigste Satz in meinem Leben, denn Gmeiner hat mir eine Lebensaufgabe gegeben. Ich sollte ein Dorf in Italien oder das New Yorker Büro leiten. Wir einigten uns auf Innsbruck, beim SOS-Kinderdorf-Verlag. Es ist schön, wenn man so etwas erfahren und seine Vorstellung umsetzen darf. Für mich ging es nie darum, Danke zu sagen. Sicher, ich habe eine tolle Kindheit in Imst genossen, trotz des Traumas, durch den Verlust meiner Familie, aber ich hatte nie das Gefühl, etwas zurückgeben zu müssen: Das war ein Geschenk.

 


SOS-Kinderdorf-Gründer Hermann Gmeiner (links) mit Karl Moser
Welchen Einfluss hatte das Kinderdorf auf Ihr eigenes Familienleben?
Es war ein Riesenglück, dass mein Bruder und ich im SOS-Kinderdorf gelandet sind. Das Zusammenleben mit vielen Kindern in der Familie und im Dorf war unheimlich toll und hat mich geprägt. Das Großartige am Kinderdorf ist aber, dass leibliche Geschwister zusammenbleiben können und dass wir die gleichen Chancen zum Start ins Leben wie Kinder aus normalen Familien bekommen haben. Meine Frau und ich haben später versucht, auch unseren Kindern die Chance zu geben: In Geborgenheit zu selbständigen Menschen heranwachsen zu dürfen.

 

Sie haben Hermann Gmeiner selbst gut gekannt: Was würde er wohl sagen, wenn er sähe, was aus seiner Idee heute geworden ist?
Er hat immer gerne gesagt: „Redet’s nicht, sondern tut’s etwas!“ Für uns war dies eine starke Aufforderung zur Veränderung aber auch ein Ausdruck des Vertrauens. Er würde natürlich sehen, dass sich die Voraussetzungen geändert haben, aber nicht müde werden, uns jedes einzelne Schicksal eines in Not geratenen Kindes ans Herz zu legen. Er hat das SOS-Kinderdorf und seine Vision verkörpert. Durch seine Präsenz und z. B. mit seiner Bemerkung „Du bist ein gutes Mädchen“ oder „Du bist ein guter Bub“ hat er Kindern und Mitarbeitern Richtung und Kraft geben. Er würde von uns vielleicht noch mehr den Blick aufs SOS-Kinderdorf als Kern und Ausgangspunkt auch für andere Hilfsangebote für in Not geratene Kinder und Familien fordern.

 

Sie sind heute im Vorstand Ihres einstigen „eigenen“ Kinderdorfs tätig. Was ist anders im SOS-Kinderdorf als damals?
Es gibt heute viel mehr Angebote, zum Beispiel ist auch eine kurzfristige Unterbringung möglich, wenn es vorübergehend für das Kind das Beste ist. Die Elternarbeit ist anders: Wenn es leibliche Eltern gibt, so werden sie in die pädagogische Arbeit einbezogen. Und es sind weniger Kinder in jeder Familie, auch weil die Probleme differenzierter sind, kurz: Die Angebote sind dem Bedarf in der Gesellschaft angepasst.

 

Und Ihr Wunsch ans SOS-Kinderdorf, an dem Sie so viele Jahre Anteil hatten?
Ich wünsche natürlich, dass es weiter wächst, dass es immer mehr Kinder erreicht. Überdies wünsche ich ihm die Kraft, immer wieder Veränderungen in der Welt herbeiführen zu können und diesen Weg konsequent weiterzugehen. SOS-Kinderdorf hat die Gesellschaft verändert und gibt ein Beispiel. Wir haben diese Vision vom Zuhause für alle Kinder, und ich wünsche, dass wir immer wieder Menschen finden, die diese Idee mit weiter tragen – als Freunde der SOS-Kinderdörfer und auch als Mitarbeiter.

 

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