Leben in der neuen Realität

Vier ukrainische Mütter erzählen von ihrem neuen "Alltag" in Rumänien

"Wir dachten, wir würden zwei Wochen bleiben, und jetzt ist es schon über einen Monat her", sagt Viktoria, eine Mutter von zwei Kindern aus dem Süden der Ukraine. Viktoria und drei ihrer engen Freundinnen, alle mit je zwei Kindern, sind vor dem Krieg in der Ukraine geflohen und haben im SOS-Kinderdorf Bukarest Zuflucht gefunden.

"Die Ungewissheit ist beängstigend", fügt Viktoria hinzu. "Zu Hause hatten wir unser Leben, unsere Familie war zusammen. Wir hatten Pläne und auch wenn ein Plan scheiterte, hatten wir einen Ort, an den wir zurückkehren konnten. Jetzt wissen wir nicht, was wir als nächstes tun sollen. Sollen wir planen? Wofür planen? Wohin können wir zurückkehren?"

Getrennte Familien

"Der 24. Februar, der Tag, an dem der Krieg begann, war ein Schock", sagt Hanna, eine Freundin von Viktoria. "Man erwartet nicht, dass man aufwacht, einpackt, was man kann, seine Kinder nimmt und weggeht, ohne zu wissen, wann man zurückkommt. Den anfänglichen Schock haben wir inzwischen überwunden, aber die Angst und Ungewissheit bleiben."

"Alle unsere Ehemänner sind in der Ukraine", ergänzt Viktoria. "Unsere Eltern, unsere Verwandten sind dort. Ich spreche jeden Tag mit meinem Mann. Er ist jetzt allein und wir alle vermissen ihn und unser gemeinsames Leben. Man geht als Familie durchs Leben, und plötzlich wird man gezwungen, eine Entscheidung zu treffen und jemanden zurück zu lassen. Das ist für alle schwer.“

"Meine Eltern versuchen mich zu beruhigen", sagt Natalia, eine weitere der Mütter. "Sie sagen, es ist schon eine neue Normalität mit Schüssen, Granaten und Luftschutzsirenen geworden."

Gemeinsam im SOS-Kinderdorf

"Unser Wunsch war es, zusammen zu bleiben. Aber wir waren uns fast sicher, dass es unmöglich sein würde, insgesamt zwölf Personen in einer Wohnung unterzubringen. Wir sind den SOS-Kinderdörfern sehr dankbar, dass wir alle in einem Haus wohnen dürfen. Wir fühlen uns viel wohler, wenn wir zusammen sind und so füreinander da sein können", sagt Hanna.

Die vier Mütter und ihre Kinder kamen zufällig durch das Unternehmen, in dem eine von ihnen arbeitete, mit dem SOS-Kinderdorf Bukarest in Kontakt. Die rumänische Niederlassung dieses Unternehmens unterstützt die SOS-Kinderdörfer im Land.

Kindheit auf den Kopf gestellt

Die acht Kinder scheinen sich gut zu verstehen, zumindest wenn man das Kichern und Trappeln der Füße aus den Zimmern hört. "Ihr Tagesablauf hat sich drastisch verändert", erklärt Lena, die Mutter des ältesten 15-jährigen Mädchens. "Ihr Leben ist auf den Kopf gestellt. Am Anfang waren sie durcheinander, weil wir alle in einem Zimmer wohnen, ohne eigenen Platz und ohne Privatsphäre. Jetzt ist es besser, sie haben sich an die neue Realität gewöhnt."

Auch wenn sie verschiedene Sprachen sprechen, verstehen sie sich schon gut: Rumänische und ukrainische Kinder bei gemeinsamen Aktivitäten im SOS-Kinderdorf Cisnadie. Foto: Katerina Ilievska

Wieder keine Schule

Die schulpflichtigen Kinder besuchen den Online-Unterricht, den ihre Lehrerinnen und Lehrer organisieren, die noch in der Ukraine sind. Die Mütter räumen ein, dass die Kinder dabei aber nur wenig lernen, weil der Unterricht je nach Klasse zu unterschiedlichen Zeiten stattfindet und sich die Kinder leicht ablenken lassen. "Oft wird der Unterricht durch Luftschutzsirenen unterbrochen. Dann müssen die Lehrer abbrechen und zu den Luftschutzbunkern laufen. Am Anfang hat das die Kinder sehr belastet, aber jetzt sagen sie einfach nur noch 'keine Schule mehr'."

Nachdem der Unterricht während der COVID-19-Pandemie schon einmal online stattfand, waren alle froh, dass ihre Kinder wieder in die Schule gehen konnten. Nun mussten die ukrainischen Kinder ihre Ausbildung erneut unterbrechen. Diesmal, um ihr Leben zu retten. Dennoch geben diese vier Mütter die Bildung ihrer Kinder nicht auf.

Was Kinder brauchen

"Wir lernen alle mit den Kindern. Jeder versucht, eine Stunde oder ein Thema abzudecken", sagt Hanna. "Aber das reicht nicht aus. Sie brauchen auch Lehrmaterialien in ukrainischer Sprache. Das gibt es in Rumänien noch nicht."
"Die Kinder brauchen auch Sport oder ein kreatives Hobby", fügt Natalia hinzu, "wie sie es zu Hause hatten. Jede strukturierte Beschäftigung ist jetzt gut für sie."

Toben und gemeinsam spielen tut den geflüchteten Kindern gut. Foto: Katerina Ilievsa

Bedürfnis zu heilen

Auf die Frage, ob sie psychologische Unterstützung für sich selbst benötigen, antworten die Mütter unisono mit 'Ja'. "Wir mögen stark und widerstandsfähig erscheinen, und vielleicht sind wir es bis zu einem gewissen Punkt auch. Jede von uns muss hier sowohl Mutter als auch Vater sein. Wir müssen Stärke ausstrahlen, damit es unseren Kindern gut geht. Aber oft liest man etwas, sieht Bilder, hört Nachrichten, und es bricht einem das Herz. Dann merkt man, wie dringend man psychologische Hilfe braucht."

Trotz allem die Lebensfreude behalten

Wann immer möglich, gehen die vier Mütter mit ihren Kindern in die Parks von Bukarest. "Die Parks hier sind einfach wunderschön", sagt Viktoria. "Wir versuchen, so viele Ausflüge wie möglich zu machen – das hält uns auf Trab, die Kinder lernen neue Dinge und wir haben alle Freude."

Auch im Kinderdorf Hemeiusi (Bacau) sind große Gruppen von geflüchteten Familien untergebracht. Alle drei rumänischen SOS-Kinderdörfer in Bukarest, Cisnadie und Hemeiusi bieten derzeit Unterkunft für Geflüchtete aus der Ukraine. Foto: Katerina Ilievska

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