Das Weinen eines Flüchtlingskindes

SOS-Nothilfe an der griechisch-mazedonischen Grenze

SOS-Mitarbeiterin Katerina Ilievska berichtet aus einem Flüchtlingscamp an der Grenze von Mazedonien und Griechenland.


Flüchtlinge an der mazedonischen Grenze: Eine erschöpfte Mutter schleppt sich mit ihrem Baby auf dem Arm einen Feldweg entlang - Foto: Katerina Ilievska

"Keine Fotos", ruft der Polizist am Stacheldrahtverhau. Dann verschwindet er wieder hinter seinem Schild. Ich packe die Kamera weg. Auf der mazedonischen Seite stehen bewaffnete Grenzpolizisten und Sondereinheiten mit erhobenen Schutzschilden. Vor ihnen betteln, flehen, weinen 4.000 Menschen, die von Griechenland nach Mazedonien wollen. Weiter hinten gibt es ein Gerangel. Eine Mutter mit Kind rennt weg. Eine Männerstimme brüllt in ein Megaphon. Ich verstehe die Sprache nicht, so wie die Flüchtlinge, die sich hier drängen. Es hat 30 Grad, aber die Atmosphäre ist kalt.

Hier, am Grenzübergang zwischen dem griechischen Idomeni und dem mazedonischen Gevgelija, wollen die Menschen nur eins: Sie wollen in Sicherheit sein. Sie kommen aus dem vom Krieg zerrissenen Syrien, aus Afghanistan, Pakistan, Irak, Somalia und anderen Ländern, in denen ein normales, gewaltfreies Leben nicht möglich ist. "Nur Mord und Totschlag", sagt einer der Flüchtlinge. "In meiner Heimat gibt es kein Leben."


Kinder und Eltern bei ihrer Ankunft im Flüchtlingscamp in Gevgelija, Mazedonien - Foto: Katerina Ilievska

Ich gehe dorthin, wo Fotos wieder erlaubt sind: weiter weg vom Grenzzaun. Unterwegs knipse ich junge Männer, sie lachen, posieren für die Kamera. Sie vergessen für einen Moment Strapazen, Leid und Trauer. Eine Grenze weniger.

Flucht aus Afghanistan

Eine Mutter, die ein Baby trägt, schleppt sich den Feldweg entlang. Ich strecke meine Arme aus, ohne zu zögern überreicht mir die Mutter das Baby. Ihre Arme hängen schwer herunter. Die Mutter nimmt einen Schluck Wasser aus einer Flasche. "Was für ein kräftiger Junge", sage ich. Er legt seinen Kopf auf meine Schulter. Ich streichle ihm über den Kopf, er wird ruhig und schläfrig. Die Mutter lächelt mir zu. Ich denke: Was hat sie auf ihrer Flucht wohl durchgemacht? Wie erschöpft muss sie sein, wenn sie ihr Kind kaum noch tragen kann und sofort einer Fremden anvertraut?


Endlich wieder ein Bad fürs Baby: Eine Helferin versorgt eine Mutter und ihr Kind im Flüchtlingszentrum in Mazedonien - Foto: Katerina Ilievska

Die Mutter ist aus Afghanistan. Am Rot-Kreuz-Zelt kommt der Vater zu uns. Genau wie die Mutter ist er sehr jung, höchsten 25 Jahre alt. Auch er sieht erschöpft aus, und verzweifelt, ich fürchte, er könnte jeden Moment zusammenbrechen. In der Hand hält er eine schwere Tasche – alles, was die Familie besitzt.
Ich frage einen Polizisten, ob die Familie nicht ins Flüchtlingszentrum kann, ohne Stunden lang in der Schlange zu stehen.
"Warum?", fragt er unwirsch.
"Die Mutter ist am Ende ihrer Kräfte, das Kind ist erschöpft."
"Ok", sagt der Polizist. "Sie können rein."
"Nur die Mutter und das Kind?"
"Der Vater auch. Wir können sie doch nicht auseinanderreißen." Er lächelt nun den kleinen Jungen auf meinem Arm an.

Windeln und Babynahrung

Im Flüchtlingszentrum legen wir das Baby gleich auf den Wickeltisch. "Ali", sagt seine Mutter, hält drei Finger hoch und sagt "Monate". Also Ali heißt er und ist drei Monate alt.
Eine Fliege setzt sich auf sein Auge. Er reagiert nicht. Zu müde. Die erste Reaktion, die Ali zeigt, ist, als ein Helfer und seine Mutter ihn mit warmem Wasser abwaschen: Er schreit!

Von den SOS-Kinderdörfern erhält die Mutter ein Paket mit Windeln, Wäsche, Wasser und Babynahrung. Der Vater sitzt im Schatten und lächelt erleichtert. Aber Ali weint weiter. Seine Mutter pudert ihn und zieht ihm frische Wäsche an. Ali weint. Es ist ein Weinen, das ich am liebsten mit der ganzen Welt teilen möchte. Das Weinen eines Flüchtlingskindes.

 

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