Serbien in den 90er Jahren: Das Land befindet sich im Bürgerkrieg, und während bereits so gut wie alle Ausländer ausgereist sind, fahren Edda und Horst Pinne aus dem niedersächsischen Dransfeld geradewegs mit ihrem LKW auf die serbische Grenze zu. Der Wagen ist voll mit Kleidung, Hygieneartikeln, Waschpulver, Kochtöpfen und Teddybären. Sein Ziel: Das SOS-Kinderdorf Sremska Kamenica in Novi Sad. Es wurde 1975 als erstes Kinderdorf Serbiens, das damals noch Teil von Jugoslawien war, gegründet. Nun, während des Bürgerkrieges, verschlechterte sich die Versorgungslage zunehmend.
Edda Pinne war 1988 zum ersten Mal nach Novi Sad gefahren, um eine langjährige serbische Freundin endlich mal in deren Heimat zu besuchen. Damals fuhren sie auch ins nahegelegene SOS-Kinderdorf – der Beginn einer großen Liebe und eines großen Engagements, das bis heute anhält. Edda Pinne, ehemals Schulsekretärin und Mutter von zwei Kindern, fühlte sich den Jungen und Mädchen sofort verbunden und als 1991 der Bürgerkrieg ausbrach, war für sie klar, dass sie etwas tun musste. „Und wer helfen will, findet immer einen Weg“, sagt die resolute, schwungvolle Frau, die inzwischen 72 Jahre alt ist. Ihr Weg: Zweimal im Jahr brachte sie mit ihrem Mann Hilfsgüter zum Kinderdorf. In Dransfeld spaltete sie damit die Lager. Die einen gaben alles her, was helfen könnte, die anderen fragten Edda Pinne entsetzt, ob sie nun Milosevic-Anhängerin sei. Viel Aufklärungsarbeit sei nötig gewesen, um den Skeptikern klarzumachen, dass die Serbien keine Menschenfresser, sondern sehr sensible Menschen seien, und dass man nicht die ganze Bevölkerung für die Taten der Nationalisten verantwortlich machen könne
Die Ankunft in „ihrem Kinderdorf“ sei bis heute jedes Mal sehr bewegend, sagt Edda Pinne, für die Kinder ist sie längst eine alte Freundin und wird überschwänglich begrüßt. So viele kleine Erlebnisse haben Edda Pinne wieder und wieder bestätigt. Einmal zum Beispiel, während des Krieges, hatten die Pinnes einfache Fotoalben mitgebracht und mit Bildern der Kinder gefüllt. Ein wertvolles Gut für die Jungen und Mädchen, von denen die meisten kaum ein persönliches Erinnerungsstück besaßen. Edda Pinne erzählt: „Ein paar Jahre später zuppelte jemand an meinem Pullover und zeigte mir das Album. Er hatte es die ganze Zeit sorgfältig aufbewahrt!“ Um zu helfen, nahmen die Pinnes auch das Risiko in Kauf, selbst Opfer des Krieges zu werden. „Das ganze Leben ist lebensgefährlich“, erklärt Edda Pinne mit dieser Selbstverständlichkeit, mit der sie auch den Kindern hilft. Einmal, als die Pinnes mit dem Wagen voll Kuscheltieren an die Grenze kamen, drückte der serbische Beamte jedes einzelne Tier ausgiebig, offenbar auf der Suche nach Rauschgift. „Nehmen Sie sich ruhig ein paar für ihre Kinder mit“, sagte Edda Pinne. Der Beamte bekam einen roten Kopf und schnappte sich vier Teddybären – die Pinnes durften weiterfahren.
Dies alles würde dennoch nie funktionieren, wenn da nicht eine Menge Menschen mithelfen würden. Zu den vielen Talenten Edda Pinnes gehört zum Glück auch dieses: Menschen zu begeistern. „Ich bin jemand, der immer ein Wort mehr sagt“, erklärt sie. Das wirkt. Einmal zum Beispiel sei sie mit einer Frau ins Gespräch gekommen. „Ich glaube, Sie sind die Richtige“, hatte die Frau nach einiger Zeit gesagt und um Edda Pinnes Adresse gebeten. Wenig später, an Heilig Abend, hat sie ihr 1000 Euro zukommen lassen. Andere sammeln an ihren Geburtstagen für die Kinder in Serbien, wieder andere übernehmen Patenschaften. Der Kreis der Helfer wächst nach wie vor, und Edda Pinne und ihr Mann wollen weitermachen, „solange es uns gut geht“.
Oft schon ist sie nach dem Warum gefragt worden, und meist schüttelt sie verwundert den Kopf – dafür braucht es keinen Grund. Wenn sie doch eine Antwort gibt, dann diese: „All diese Kinder werden einmal Erwachsene sein, und sie werden wissen, dass da einmal Menschen waren, die ihnen geholfen haben.“
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