Karolina kam in ein SOS-Kinderdorf in Estland, nachdem ihre Eltern gestorben waren. Mittlerweile ist sie erwachsen und lebt in ihrer eigenen Wohnung. Sie berichtet über ihre Erfahrungen im SOS-Kinderdorf, was sie gestört hat und was sie verbessern würde.
Ich kam in das SOS-Kinderdorf, nachdem meine Eltern gestorben waren. Mein Vater ging nach Tschernobyl, um dort zu arbeiten und wurde stark verstrahlt. Meine Mutter starb an Brustkrebs. Zunächst kam ich zu meiner Großmutter, aber sie war zu schwach, um mich groß ziehen zu können. Also entschied sie, mich in einem SOS-Kinderdorf unterzubringen. Bevor ich dort blieb, besuchten wir das Kinderdorf ein paar Mal, so dass ich schon wusste, wo ich leben würde. Dann wurde ich zu einer Familie gebracht, in der schon fünf Mädchen wohnten. Da ich wusste, was auf mich wartete, hatte ich keine Probleme, mich mit der neuen Umgebung anzufreunden.
Es ist gut, dass viele Leute in den SOS-Kinderdörfern arbeiten
Ich erinnere mich gut an meinen ersten Tag im SOS-Kinderdorf. Ich wurde herzlich begrüßt, es war schön. Sie hatten ein Festessen für mich zubereitet und, als ich mich von meiner Großmutter verabschiedet hatte, fuhren wir mit den Rädern in einen Park. Wir hatten nie große Schwierigkeiten in der Familie. Nur, was das Putzen betraf oder wenn ich woanders übernachten wollte, manchmal auch wegen Geld. Alle meine Freunde lebten in der Stadt, deswegen blieb ich oft weg und vergaß anzurufen. Wenn ich heute darüber nachdenke, sehe ich ein, dass ich jedes Mal hätte anrufen sollen.
Wirklich gut ist, dass viele Leute in einem SOS-Kinderdorf arbeiten. Wenn ich Ärger hatte mit meiner Mutter, waren immer genug Erzieher oder Sozialarbeiter da, mit denen ich reden konnte. Ich hatte einen besonders guten Erzieher, wenn er nicht gewesen wäre, wäre aus mir nicht das geworden, was ich heute bin.
Bei SOS habe ich gelernt, mit Menschen umzugehen
Deswegen wäre es wichtig, mehr Erzieher in den Dörfern zu haben. Bei 12 Häusern pro Dorf waren das bei uns zu wenig. Und sie müssen mit Bedacht ausgewählt werden. Die beiden, die gerade im Kinderdorf arbeiten, sind sehr gut und man kann viel von ihnen lernen. Was ich nicht gut finde ist, dass in den SOS-Kinderdörfern alles für einen gemacht wird. Zum Beispiel könnte man vom Gärtner oder vom Hausmeister lernen, wie man Reparaturen am Haus durchführt, wie man einen Garten bepflanzt oder wie man ein Auto repariert. All das könnte ich jetzt, da ich in meiner eigenen Wohnung lebe, gut brauchen.
Sehr gut war, dass ich im Kinderdorf sehr viele Sportarten machen konnte. Alle Mitarbeiter waren sehr sportlich. Es gab tolle Festivals, Wettkämpfe, zum Beispiel zwischen den Kindern und den Mitarbeitern oder uns und den Kindern anderer Einrichtungen. Was ich im Kinderdorf vor allem gelernt habe, ist mit Menschen umzugehen. Es waren so viele unterschiedliche Menschen dort, dass ich gelernt habe, dass nicht alle gleich sind, dass man nicht von allen dasselbe erwarten kann.
Mütter und Erzieher können nicht hoch genug geschätzt werden
Die Zeit in der Jugendeinrichtung war sehr spannend. Wenn man dort wohnt und nebenher ein wenig arbeitet, fehlt es einem an nichts. Dennoch war es nicht gern gesehen, dass Jugendliche einen Nebenjob haben, wenn sie noch zur Schule gehen. Ich denke, diese Arbeit sollte mehr gefördert werden, so lange die Noten nicht schlechter werden. Grundsätzlich möchte ich noch sagen, dass die Mütter und Erzieher das Fundament dieses Systems sind. Ihre Arbeit kann nicht hoch genug geschätzt werden und man muss hohe Einstellungskriterien ansetzen. Für viele junge Leute ist der Erzieher eine wichtige Bezugsperson. Hin und wieder brauchen auch die Jungen jemanden, mit dem sie über bestimmte Dinge reden können. Die Mädchen haben dafür ihre Mutter. Aber die Jungs möchten nicht mit all ihren Problemen zu ihrer Mutter gehen. Sie bräuchten "SOS-Väter".