Lachen im rosa Container

Jesidische Frauen im Nordirak gründen ein Café. Sie kämpfen damit gegen ihre traumatischen Erinnerungen und den bedrückenden Alltag im Flüchtlingslager. Und sie lernen dabei, wirtschaftlich auf eigenen Füßen zu stehen.

Stolz laden Eda und die anderen Frauen in ihr Cafe im Flüchtlingslager Khanke ein. Foto: Katharina Ebel

Es riecht nach Plätzchen. Und das ist seltsam, denn der Geruch kommt aus einem Bauwagen im jesidischen Flüchtlingslager im Nordirak. Das Klappern von Töpfen ist zu hören und Gelächter. Aber es ist nicht nur der Geruch der ungewöhnlich ist, sondern auch die Stimmung. Denn viel zu lachen gab es an diesem Ort noch nie.

Die Frauen und Mütter im Flüchtlingslager in Khanke im Nordirak haben furchtbare Erlebnisse hinter sich. Sie erzählen von ihren vermissten Männern und von ihren Söhnen, die noch immer in Gefangenschaft seien. Alle hoffen jeden Tag auf die Heimkehr ihrer Liebsten. Sie zeigen uns Bilder von der Zeit, als ihre Welt noch in Ordnung war. Heute erkennt man sie kaum wieder. Sie sind gealtert und ihre Gesichtszüge sind hart geworden durch die Trauer. 

Ziel: Ein eigenes Einkommen

Doch diese Frauen, die alles verloren haben, besitzen einen starken Lebenswillen. Sie sagten, sie wollten raus aus den Zelten, sie bräuchten Ablenkung und waren offen für alle möglichen Aktivitäten.
Daher beschloss SOS, ein Café ins Leben zu rufen, wo junge Frauen und alleinstehende Mütter lernen, zu kochen, zu backen und ein Restaurant zu führen. Dadurch können sie ein eigenes Einkommen erwirtschaften.

Junge Menschen wie Eda brauchen Hilfe, das Erlebte zu verarbeiten und eine neue Zukunft aufzubauen.

Die Erste, die auf unsere SOS-Mitarbeiterin zukam, als sie von dem Café hörte, war Eda. Sie sagte: "Egal was, aber gib mir was zu tun." Eda ist gerade einmal 19 Jahre alt und hat schwere Verbrennungen im Gesicht. Wie das genau passierte, daran kann sie sich nicht erinnern. Wenn Eda erzählt, berichtet sie davon, wie die Terroristen des IS kamen und sie und ihre Familie nach Khanke flohen. Sie sagt: "Ich konnte die Geschichten der Frauen und Mädchen im Camp nicht mehr ertragen, die verschleppt oder vergewaltigt wurden. Ich wurde ständig ohnmächtig." Eine Folge des Traumas. "Eines Tages duschte ich und dann fing die Dusche plötzlich Feuer und ich brannte." Während sie erzählt, treten die Fingerknöchel ihrer geballten Fäuste weiß hervor. Was genau geschah, bleibt unklar. "Seitdem trau ich mich kaum noch raus, weil ich wegen meiner Narben angestarrt werde. Meine Freunde haben sich zurückgezogen. Sie verkraften meinen Anblick nicht. Das alles ist schwer zu ertragen." Eda bekommt psychologische Behandlung.

Ein Café für Frauen

Es ist der erste Tag im Café. 18 Frauen haben sich versammelt. Eda ist unter ihnen. Die meisten blicken zu Boden, schweigen völlig verschüchtert. Und unsere SOS-Mitarbeiterin denkt: Himmel, das klappt nie, mit diesem Café."
Aber sie hatte sich geirrt: Zwei Wochen später kommt sie wieder in das Café. Aus dem Container, den die Frauen inzwischen Rosa gestrichen haben, dringt der Geruch von Keksen. Eda rührt gerade in einer Schüssel Teig für marokkanisches Teegebäck und winkt. Sie ist verschleiert, um ihre Narben zu verdecken. Auch die anderen Frauen reden aufgeregt durcheinander. Sie diskutieren, welchen Namen ihr Café bekommen soll und sind sich schnell einig: "Girl´s kitchen!"

"Wir wollen ein Café nur für Frauen, wo wir uns treffen können." Auf die Frage, ob die Männer nichts bekommen, überlegen sie. Nach einer Weile beschließen sie: "Die Männer dürfen kommen und essen, aber dann dürfen sie auch wieder gehen." Sie grinsen selbstbewusst.

Für die Frauen ist das Café nicht nur ein Ort zum Reden und Kraft tanken. Sie lernen auch, wirtschaftlich auf eigenen Beinen zu stehen. Foto: Katharina Ebel

Viele der Frauen sind nur wenige Jahre zur Schule gegangen. Manche können gar nicht lesen und schreiben. Aber sie wollen lernen. "Wir genießen es, hier zu sein. Niemand hat uns bisher unterstützt. Hier haben wir die Möglichkeit unabhängig zu werden, eigenes Geld zu verdienen. Diese Gelegenheit hatten wir auch zu Hause in Sinjar nicht, wo wir herkommen. Unsere Traditionen sind sehr konservativ. Ich wurde mit 12 verheiratet", sagt Nove, Witwe und Mutter von 6 Kindern. Die anderen Frauen nicken zustimmend.

Was sie lernen wollen? "Einfach alles", lacht die 37-jährige Mutter Faroz. "Kaufmännische Fähigkeiten, Englisch und Computerkenntnisse." Faroz Augen sprühen vor Energie während sie das sagt. "Die Zukunft liegt doch bei uns Frauen!"

Als der sogenannte Islamische Staat die Jesiden, eine religiöse Minderheit, im Nordirak im August 2014 überfiel, kam es zu Massenhinrichtungen. Mädchen wurden systematisch vergewaltigt, entführt und als Sexsklavinnen verkauft. Jungen wurden ihren Müttern genommen, mussten zum islamischen Glauben konvertieren und wurden später zu Kindersoldaten ausgebildet. 200.000 Menschen flohen nach Khanke. Die SOS-Kinderdörfer unterstützen im Flüchtlingslager in Khanke betroffene Kinder und Familien.

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