Der Traum von einem ganz normalen Leben

Nach dem Taifun: Familie Solvera steht vor dem Nichts

Als der Taifun auf den Philippinen wütete, wurden Jay Kian und seine Familie in der Hermann-Gmeiner-Schule von der Flut überrascht. Sie haben es geschafft sich zu retten, aber nichts ist mehr wie vorher.


Platzwunde auf der Stirn: Jay Keam hat sich während der Taifun-Flut verletzt - Foto: Sebastian Posingis

Spiderman war Jay Kians Lieblingsspielzeug. Jetzt ist er weg. Die Flut hat ihn mitgerissen wie all die anderen Sachen, die die Familie Solvera bis vor Kurzem noch besessen hat: Möbel, Kleidung, Lebensmittel, Weihnachtsgeschenke. Alles weg seit dem 8.November, seit der Taifun Haiyan auf den Philippinen gewütet hat. Auf der Stirn des sechsjährigen Jungen prangt unübersehbar eine vernähte Wunde, deren Geschichte das ganze Drama beinhaltet: Zerstörung, Rettung, Leben und Tod.

Wir treffen Jay Kian in der notdürftigen Behausung, in der er mit seiner großen Familie lebt. Zusammen mit seiner Mutter, zwei Tanten, einem Onkel und dessen Eltern, Cousins und Cousinen und den Großeltern lebt er auf 25 Quadratmetern unter einem rostigen, tropfenden Dach. Die Solveras haben weder Strom, noch Wasser, noch eine Toilette. Auf dem Boden stehen ein paar zerstörte Möbelstücke, wohin man auch tritt, steigt man in schwarzen Schlamm, einem idealen Nährboden für Krankheiten. Alles ist feucht hier, die Kinder husten. Pamela, Jay Kians Tante, hat eine Plastiktüte auf dem Kopf, um sich vor dem Regen zu schützen. Sie ermahnt die Kinder, nicht im Schlamm zu spielen. Pamela ist froh, dass die SOS-Kinderdörfer in dieser Woche eine Tagesstätte eröffnet haben, in der die Jungen und Mädchen gefahrlos spielen und wieder ein Stück Normalität erfahren können, in der sie ein Mittagessen bekommen und Unterstützung, um ihre traumatischen Erlebnisse zu verarbeiten.

Kinder, die von der Flut mitgerissen wurden


Nach der Flut: Immer wieder kommt die Erinnerung hoch - Foto: Tommy Standún

Während die Kinder versorgt sind, tun ihre Eltern alles, um ihr Leben wieder aufzubauen. Leicht ist das nicht; immer wieder kommt die Erinnerung hoch an jenen Tag. Jay Kians Mutter schafft es kaum, ein paar Sätze zu sagen: "Wir waren an jenem Freitagvormittag in der Hermann-Gmeiner-Schule, Jay Kian, Pamela, unser Bruder, unser Vater und ich. Als die Flut kam, sagte man uns, wir sollten das Gebäude verlassen, aber das Wasser stieg so schnell, dass wir nicht mehr rauskamen." Sie beginnt zu weinen. Pamela, ihre Schwester, übernimmt: "Im Wasser standen überall kleine Kinder, die um Hilfe riefen. Es waren Kinder aus der Nachbarschaft, die wir kannten, und natürlich wollten wir helfen, aber wir wussten genau, dass wir dann alle sterben würden. Wir waren im Klassenraum gefangen. Das Wasser stieg immer höher und unsere einzige Chance war, zu tauchen, um durch die Fenster zu entkommen. Mein Bruder und mein Vater waren die einzigen von uns, die schwimmen konnten. Sie halfen uns und gemeinsam schafften wir es, aus dem Fenster zu schwimmen und uns schließlich aufs Dach der Schule zu retten. Als wir dort saßen, sahen wir immer wieder Kinder, die von der Flut mitgerissen wurden. Wir versuchten, so viele wie möglich zu retten und zu uns aufs Dach zu ziehen. Plötzlich rutschte Jay Kian runter, schlug mit dem Kopf gegen das Schulgebäude und fiel in die Fluten. Für mich ist es immer noch ein Wunder, dass wir es schafften, ihn herauszuziehen. Irgendwann, als der Wasserspiegel wieder zu sinken begann, bildeten wir alle gemeinsam eine Kette und schafften es, eine höhere Ebene zu erreichen, auf der wir sicher waren."  Längst fließen auch bei Pamela die Tränen.

Wann kann Jay Kian wieder zur Schule gehen?


Jay Keams Wunde heilt, doch seine Familie hat alles verloren - Foto: Tommy Standún

Dann schaut sie ihren Neffen an, versucht sich zu sammeln und irgendwie zu lächeln. Sie sagt, sie hoffe, dass Jay Kian bald wieder zum Unterricht gehen kann.

Es wird wohl noch eine Zeit dauern, bis es soweit ist. Das Team der SOS-Kinderdörfer versucht, all die Aufgaben so gut und schnell wie möglich zu bewältigen.  Eine große Herausforderung, denn auch das SOS-Kinderdorf Tacloban wurde schwer beschädigt. In den letzten Wochen waren die meisten Kinder evakuiert worden, jetzt sind sie zurückgekommen. Je zwei SOS-Familien teilen sich ein Haus, bis alle Familienhäuser wieder aufgebaut sind. Das SOS-Nothilfe-Team versorgt zudem die Menschen in der Nachbarschaft wie Familie Solvera mit Lebensmitteln, Decken und Medikamenten. SOS-Mitarbeiter versorgen regelmäßig Jay Kians Wunde.

Pamela ist dankbar für die Unterstützung und für die Spenden aus aller Welt. Wir fragen sie, was eine Spende von 20 Euro bewirken kann. "Davon kann ich Reis, Medikamente und Milchpulver für die Kinder kaufen", sagt sie. Und mit 100 Euro? "Könnten wir einen trockenen Raum bauen!" Ihr größter Wunsch ist, dass die Familie es schafft zusammenzubleiben und möglichst bald wieder ein normales Leben zu führen. Das wäre für sie unbezahlbar.

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