07. Oktober 2022 | NEWS

Teenager für Teenager – gegen das Stigma

Bei den SOS-Kinderdörfern in Nepal werden Jugendliche zu psychischen Berater:innen ausgebildet, um Gleichaltrigen zu helfen

Psychische Probleme bei Kindern und Jugendlichen haben stark zugenommen. Sie werden mittlerweile als größtes Hindernis für akademischen oder sozialen Erfolg von Schüler:innen und Studierenden angesehen. Laut Weltgesundheitsorganisation sind geschätzt 14 Prozent und damit jede:r Siebte der 10- bis 19-Jährigen weltweit von psychischen Problemen betroffen. Oft bleiben sie unerkannt und unbehandelt. Um gesellschaftliche Barrieren abzubauen, geht man bei den SOS-Kinderdörfern in Nepal einen neuen Weg.

Zu Beginn des Schuljahres hatte die 14-jährige Sabita* (Name geändert) aus dem SOS-Kinderdorf Dhangadhi in Nepal Mühe, mit der Anzahl der Aufgaben Schritt zu halten, und war enttäuscht, weil sie bei ihren Prüfungen keine guten Noten bekam. 

Als der schulische Druck zu groß wurde, vertraute sich Sabita einer Vertrauensperson an. Foto: Seema Chaudhary, Shreesha Tamrakar

"Ich habe mein Bestes gegeben, um den Unterricht zu verstehen, aber aufgrund des Lernpensums und der Angst habe ich manchmal gar nichts verstanden. Das war sehr frustrierend und hat sich in der Folge auch auf meine psychische Gesundheit ausgewirkt", sagt Sabita.

Als die Belastung weiter anstieg, beschloss sie, sich einer Vertrauensperson im SOS-Kinderdorf zu öffnen – und stieß dort auf viel Verständnis. "Das war es, was ich brauchte. Einfach jemanden, der mir zuhörte, wenn ich darüber sprach, wie es mir geht. Als ich meine Gedanken teilte, fühlte es sich an, als würde eine Flut von Schmerzen verschwinden", erzählt Sabita. "Es hat mir geholfen, meine Ängste zu verarbeiten."

Sabita brauchte jemanden, der ihr zuhörte – und sie stieß auf Verständnis

Sie selbst hatte den Mut, jemanden anzusprechen, aber sie merkte auch, dass viele andere Kinder und Jugendliche sich nicht trauten, um Hilfe zu bitten oder auch gar nicht wussten, dass ihnen eine Vertrauensperson überhaupt helfen kann. "Kinder haben vielleicht mit Angst, Stress, Online-Spielsucht oder mit ihrer Disziplin zu kämpfen. Kinder und Jugendliche wie ich brauchen einfach jemanden, mit dem sie reden können, aber die meisten von uns zögern, Hilfe zu suchen, weil Probleme im Zusammenhang mit der Psyche mit einem Stigma behaftet sind", sagt sie.

"Kinder und Jugendliche wie ich brauchen einfach jemanden, mit dem sie reden können, aber die meisten von uns zögern oft, Hilfe zu suchen, weil die Probleme im Zusammenhang mit der psychischen Gesundheit mit einem Stigma behaftet sind."

Sabita, 14 JahrE

Die SOS-Kinderdörfer in Nepal räumen der seelischen Gesundheit eine Priorität ein und führen im Rahmen ihrer Programme für psychische Gesundheit und psychosoziale Unterstützung (engl. Mental Health and Psychosocial Support = MHPSS) verschiedene Aufklärungsmaßnahmen durch. Weil es trotzdem eine Herausforderung bleibt, das Stigma abzubauen, verfolgt man auch einen neuen Ansatz: Jugendliche und junge Menschen helfen sich durch Peer-Beratung gegenseitig.

Peer-Beratung soll Bewusstsein für psychische Gesundheit bei Jugendlichen schärfen

Die Idee: Geschulte Jugendliche sind in der Lage, Altersgenoss:innen aktiv und einfühlsam zuzuhören, ein Vertrauensverhältnis zu ihnen aufzubauen und sie durch ihre Emotionen hindurch zu begleiten. Im März 2022 führten die SOS-Kinderdörfer in Nepal in dem Kontext zum ersten Mal ein viertägiges Seminar durch, an dem insgesamt 40 Jugendliche aus zehn Kinderdörfern und Jugendhilfeprogrammen teilnahmen.

Sabita hat ein offenes Ohr für Kinder und Jugendliche. Foto: Seema Chaudhary, Shreesha Tamrakar

 

"In der Ausbildung wird den Peer-Berater:innen beigebracht, dass ihre Aufgabe nicht darin besteht, Probleme zu lösen, sondern ihren Mitschüler:innen zu helfen, Probleme und mögliche Lösungen selbst zu erkennen", erklärt Anisha Aryal, Leiterin der Programme für psychische Gesundheit und psychosoziale Unterstützung (MHPSS) bei den SOS-Kinderdörfern in Nepal. "Gleichzeitig geht es darum, zuzuhören, empathisch zu sein und nicht zu urteilen. Das reicht oft schon aus, um zu helfen." Die Beratungsgespräche sind vertraulich, es sei denn, jemand äußert schwerwiegende psychische Probleme, die zu Selbstverletzungen führen könnten. In diesem Fall müssen die Peer-Berater:innen diese Informationen sofort an eine erwachsene Vertrauensperson weitergeben.

Sabita ist seit der Schulung im März eine der aktiven Peer-Beraterinnen und gibt ihr Wissen weiter. Sie leistet niedrigschwellige Hilfe und sie sensibilisiert ihre Altersgenoss:innen für das wichtige Thema der seelischen Gesundheit.

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