Flora und ihre beiden Kinder

Albanien: Eine Familie kämpft sich frei

Nachdem Flora und ihre Kinder durch ein Erdbeben ihr Zuhause verloren hatten und völlig entwurzelt waren, schien ihr Leben aussichtslos. Erst die Unterstützung der SOS-Kinderdörfer gab der Familie neue Hoffnung und half ihnen, wieder Fuß zu fassen.

 

 

Von außen betrachtet wirkt Flora Dodaj wie so viele Mütter auf der Suche nach Halt: Die Augen wach, das Gesicht geprägt von Entschlossenheit und Müdigkeit – zugleich ein Gesicht, das von Verlust und Hoffnung erzählt und dem nie ganz versiegenden Glauben an einen Neuanfang. 

Im Jahr 2014 – Floras Tochter Adela ist vier, ihr Sohn Gregorio erst zwei Jahre alt - verlässt der Vater die Familie. Dieser schmerzliche Bruch ist der Beginn weiterer Katastrophen: Fünf Jahre später reißt ein Erdbeben Flora und ihre Kinder aus ihrem Zuhause. Ihr Haus wird völlig zerstört. Plötzlich stehen sie vor dem Nichts, obdachlos, entwurzelt. Das, was einmal Heimat war, liegt in Trümmern. 

Mutter und Sohn bereiten Essen vor
Flora und Gregorio bereiten Essen zu. Foto: BYNDC AGENCY

Sie fliehen nach Shkodra, eine Stadt, die ihnen fremd ist. Hier haben sie keine Freunde, keine Verwandten. Die Kinder, verstört und verloren, drücken sich vor dem regelmäßigen Schulbesuch. Orientierungslosigkeit, Krankheit, Verzweiflung – das Leben scheint auf einen einzigen, grauen Moment zusammengeschrumpft. "Der schlimmste Alptraum. Da war alles vorbei für mich", sagt Flora heute leise. "Ich dachte, es gibt niemanden, der mir helfen könnte."

Raus aus der Isolation

Doch dann, im Jahr 2023, wendet sich das Blatt. Toni, Sozialarbeiter bei den SOS-Kinderdörfern, klopft an die Tür. Skepsis und Angst sind die ersten Gäste, als die Helfer das Haus betreten. "Flora, eigentlich eine starke Frau, hatte keine Energie mehr. Die Kinder sprachen nicht, waren sehr in sich gekehrt", erinnert sich Toni. Isolation war das Fundament ihrer neuen Realität geworden.

"Alle drei waren von den Ereignissen der frühen Jahre traumatisiert."

Toni, Sozialarbeiter bei den SOS-Kinderdörfern in Albanien

 

Das Team entscheidet, nicht nur schnelle Hilfe zu leisten, sondern die Familie auf einem ganzheitlichen Weg der Heilung zu begleiten. Ärztliche Versorgung, psychologische Betreuung, erste vorsichtige Schritte hinaus aus dem eigenen Kokon. "Alle drei waren von den Ereignissen der frühen Jahre traumatisiert", sagt Toni. Aber hier beginnt das Kämpferische, das Unverzichtbare: der Mut, Hilfe zuzulassen. 

Die Veränderung ist spürbar

Die SOS-Kinderdörfer bieten einen Raum, in dem Nicht-Alleinsein wieder erlernbar wird: gemeinsame Ausflüge mit anderen Familien, das Erkunden der Umgebung, gemeinsames Lachen und das Entdecken von Verbundenheit. Es sind diese Momente, in denen ein Leben neu zusammengesetzt wird, Stück für Stück. 

Für Adela, heute 14 Jahre alt, ist die Veränderung spürbar. "Als wir hierherkamen, habe ich mit niemandem gesprochen. In der Therapie habe ich dann zum ersten Mal von mir erzählt. Darüber, wie es mir geht, in welcher Situation ich bin." Ihr Englisch ist fließend, ihr Lächeln offen. Sie wirkt jetzt selbstbewusst – voller Pläne, voller Leben. 

Solidarität zieht Kreise

Flora beschreibt das Erwachen ihrer Kinder als eine Verwandlung, an deren Ende auch sie selbst wieder Hoffnung schöpft. "Nach drei, vier Monaten habe ich schon eine Veränderung bemerkt. Dann ging es auch mir besser." 

Und Toni? Der sieht heute in der Familie Dodaj ein Modell, wie Solidarität Kreise ziehen kann. "In den letzten beiden Jahren wuchs Floras Selbstvertrauen. Die Trainings und Meetings halfen ihr, eine neue Perspektive zu entwickeln. Flora ist heute ein Vorbild für viele Frauen in unserem Familienstärkungsprogramm. Sie sehen, dass es wirkt und dass sie es auch schaffen können." 

Auf die Frage, wovon Flora träumt, kommt die Antwort prompt – und leise kämpferisch: "Dass wir wieder ein sicheres Zuhause haben, wie vor dem Erdbeben. Und dass es meinen Kindern in der Schule gut geht."