Die Chance auf ein neues Leben

Die Grenzen dessen, was sie ertragen kann, hat sie so oft erreicht, dass sie es nicht mehr zählen konnte: Ihr Ehemann verprügelte und demütigte sie und nahm ihr das wenige Geld, das sie mit harter Arbeit verdient hatte. Heute sagt sie: “Eigentlich war meine Leidensfähigkeit längst ausgeschöpft, trotzdem machte ich weiter.”

Celia ist eine junge Frau aus einer ländlichen Gegend in der Nähe von Boliviens Hauptstadt Sucre. Wie die meisten Frauen außerhalb der Städte Boliviens hat sie eine relativ geringe Schulbildung und wurde früh verheiratet. Als sie erst 18 Jahre alt war, kam ihr erster Sohn zur Welt. Die Situation überforderte die Beziehung des jungen Paars, wirtschaftliche Schwierigkeiten belasteten sie zusätzlich. Immer öfter blieb Celias Ehemann über mehrere Tage weg, ohne ihr zu erklären, wo er hinging. Das Verhältnis der Eheleute wurde schlechter, und nach und nach begann der Mann bei Auseinandersetzungen gewalttätig zu werden.

Celia und ihre drei Söhne
Trotz allem kämpfte sich Celia durch
Die Geburt ihres zweiten Sohnes verschlimmerte die Situation. Immer wieder versprach Celias Mann, sich zu bessern und mit dem Schlagen aufzuhören, aber nichts änderte sich. Langsam zerrüttete ihre Familie. Celia überlegte, was sie tun könne, um das gemeinsame Leben zu verbessern und entschied, als Obstverkäuferin auf den Straßen zu arbeiten. Die harte und viele Arbeit verlangte ihr zusätzlich zur Betreuung der beiden Kinder eine Menge ab, bewirkte aber leider nicht, dass sich die Atmosphäre innerhalb der Familie besserte. “Anstatt meine Arbeit wertzuschätzen und mich zu unterstützen, behandelte mein Mann mich nur noch ablehnender”, erzählt Celia. Er missbrauchte und schlug sie und verschwand regelmäßig mit dem Geld, das sie verdient hatte.

Als sie das dritte Mal schwanger war, fand sie heraus, dass ihr Mann hinter ihrem Rücken eine andere Familie gegründet hatte. Nun gab es keine andere Wahl mehr für Celia: Sie musste sich mit ihren Kindern allein durchschlagen.

In Sorge über die Zukunft, aber auch erleichtert, dieser Zwangslage zu entkommen, zog Celia mit ihren Kindern in die Hauptstadt Sucre. Sie hoffte, hier ein neues Leben anfangen zu können. Ähnlich wie zuvor begann sie, auf der Straße Lebensmittel zu verkaufen. Ihr Einkommen reichte zum Leben, aber gleichzeitig bedeutete dies eine große Belastung, da ihre drei Kinder nirgends bleiben konnten und sie daher ständig auf der Straße begleiten mussten.

Eine Freundin sah ihre Schwierigkeiten und gab ihr einen Rat: Sie hatte gehört, dass Frauen in Not im SOS-Sozialzentrum Hilfe bekommen. Das SOS-Sozialzentrum ist das jüngste SOS-Projekt in Sucre: Seit 2001 gibt es dort eine Tagesbetreuungsstätte für Kinder, ein medizinisches Zentrum und verschiedene Weiterbildungskurse. Celia suchte das Zentrum auf und hatte Glück: Sie konnte in der Tagesbetreuung nicht nur ihre Kinder unterbringen, sondern bekam sogar einen Job als Küchenhilfe, der gerade ausgeschrieben war.

Seitdem ist viel Zeit vergangen. “Es kommt mir vor, als hätte ich ein neues Leben begonnen”, sagt Celia heute. Inzwischen konnte sie sich fortbilden und arbeitet nun selbst als Sozialarbeiterin in der SOS-Familienhilfe. Heute weiss sie, dass es manchmal nötig ist, grundlegende Dinge im Leben zu ändern, damit man es schafft, auf eigenen Beinen zu stehen und sich selbst wertschätzen zu können. Sie hat gelernt, dass Kinder ein Recht darauf haben, in einer sicheren, liebevollen Umgebung aufzuwachsen. Ihre drei Jungen erleben jetzt einen klaren Tagesablauf, bekommen regelmäßig warme Mahlzeiten und können sich sicher fühlen. Während Celia arbeitet, muss sie sich um sie keine Sorgen mehr machen. Sie weiss, dass es ihnen im Sozialzentrum gut geht und sie eine Ausbildung bekommen, mit der sie selbst einmal selbstsichere Erwachsene werden können. Celia fasst ihre Erlebnisse so zusammen: “Gerade als ich es am meisten brauchte, führte mich der Weg ins Sozialzentrum – ich habe großes Glück gehabt.”