Während in Europa die Corona-Fallzahlen in die Höhe schnellen, kommt China zur Ruhe. Nach Afrika schauen bislang wenige. Mit wachsender Sorge wartet man dort auf die Einschläge der Pandemie. Schulen und Grenzen wurden geschlossen, nachdem erste Fälle auf dem Kontinent bekannt wurden. Was ein Corona-Ausbruch mit europäischer Magnitude für ein Land wie Somalia bedeuten würde, skizziert Dr. Deqa Dimbil. Sie ist Ärztin in der Mutter-Kind-Klinik der SOS-Kinderdörfer in Mogadischu und verantwortlich für die SOS-Nothilfe in dem Land.
Welches Szenario erwarten Sie, sollte sich der Corona-Virus in Somalia so ausbreiten, wie aktuell in Europa?
Dr. Deqa: Das will ich mir nicht einmal vorstellen. 5,2 Millionen Menschen sind in Somalia abhängig von humanitären Hilfen. Das ist der aktuelle Stand ohne zusätzliche Krise. Kinder sind mangel- und unterernährt und damit extrem anfällig für Viren. Durch Krankheiten wie HIV, Cholera oder Malaria sind die Immunsysteme vieler Menschen hier geschwächt. Die Risikogruppe könnte hier demnach viel größer sein und wir müssen uns wohl darauf vorbereiten, dass Kinder Elternteile verlieren. Das macht mir große Sorgen.
Wir kämpfen jetzt schon mit Lungenentzündungen und haben nicht einmal die Beatmungsgeräte, um mehr Fälle behandeln zu können. Im ganzen Land fehlt die medizinische Minimalausstattung, um zusätzliche Patienten zu behandeln. Es mangelt an Isolier- und Intensivstationen, an Spezialisten wie Intensivärzten. Wenn wir Glück haben, gibt es davon zwei im ganzen Land. Aktuell bittet die Regierung Hilfsorganisationen wie die SOS-Kinderdörfer und die UN um Unterstützung, damit sie genügend Beatmungsgeräte für Patienten und Schutzausrüstung für medizinisches Personal haben.
Das Problem ist nur: Es gibt nirgendwo mehr Handdesinfektion, Handschuhe oder Masken zu kaufen. Wenn etwas reinkommt, ist es unglaublich teuer.
Wie bereiten Sie sich vor? Sie haben eine große Mutter-Kind-Klinik und weitere medizinische Einrichtungen in Somalia.
Wir haben Personal über Schutzmaßnahmen aufgeklärt, lassen pro Patient nur noch eine Begleitperson zu und haben Isolierstationen eingerichtet. Unser Laborpersonal ist geschult, um auf Corona testen zu können und wir haben unsere Vorräte - Lebensmittel aber auch Medikamente - aufgestockt. Wer entbehrlich ist, arbeitet von daheim. Gleichzeitig haben wir die medizinischen mobilen Teams in den Gemeinden erhöht, um Aufklärungsarbeit zu leisten und den Leuten zu zeigen, wie sie sich schützen können. Wir haben eine Ambulanz nur für Corona-Verdachtsfälle bereitgestellt. Aber das ist das eine und reicht natürlich bei weitem nicht aus, wenn wir von einer Infektionswelle reden. Ansonsten haben wir an alle Einrichtungen Desinfektionsmittel ausgegeben und Kindern, Müttern, Patienten und Mitarbeitern Handwaschtechniken erklärt. Für Notfälle gibt es eine nationale Notrufnummer.
Was sind die größten Herausforderungen?
Der Nachschub an Desinfektionsmitteln, Masken und Handschuhen ist sicher eine der aktuellen logistischen Herausforderungen, die zur Folge haben, dass unser komplettes Klinikteam bislang ungeschützt arbeitet. Wir brauchen die Vorräte dringend, sollten bei uns Corona Patienten in großer Anzahl eintreffen. Der Mangel an Isolier- und Intensivstationen ist sicher ein weiteres sehr ernstes Problem. Selbstisolation wird hier so gut wie unmöglich sein. Die Menschen leben zum großen Teil in Häusern mit einem Raum. Dafür aber zu zehnt. Wie soll man da Regeln zu sozialem Abstand einführen, um Infektionskreisläufe zu unterbrechen? Bislang ist unser öffentliches Leben nicht stillgelegt. Die Schulen sind zwar geschlossen, aber die Leute gehen nach wie vor in die Moscheen, auf Märkte oder an den Strand. Sich hartnäckig haltende Fehlinformation sind ebenfalls eine Herausforderung. Die Menschen hier glauben noch immer, dass die Krankheit nur die Chinesen betrifft, weil die zum Beispiel Fledermäuse essen. Oder sie sind der Ansicht, was Gott geschehen lässt, geschieht eben.
Aber was mir am meisten Sorge bereitet, sind die Nebeneffekte der Krise. Der Hunger, den die ökonomische Krise auslösen könnte. Ohne Importe werden wir hier kaum in der Lage sein, uns zu versorgen. Die Preise werden in astronomische Höhen schnellen und die eh schon arme Bevölkerung, wird keine Möglichkeit mehr haben sich allein zu versorgen. Wenn es dazu kommt, haben wir hier Aufstände und Chaos. Die Virustoten werden dann unsere kleinste Sorge sein. Das macht mir Angst.