Leben in Palästina: Gefährlich und unsicher

Ghada Harzallah, Nationaldirektorin der SOS-Kinderdörfer in Palästina, arbeitet seit 26 Jahren für die Organisation. In diesem Interview erzählt sie, was sich in Gaza seit dem Waffenstillstand verändert hat und worauf die Kinder und Familien jetzt hoffen.

Ghada Harzallah im Interview: "Hilfsorganisationen müssen zusammenarbeiten." Foto: SOS-Kinderdörfer

Wie sieht Ihr Alltag in Bethlehem aus?

Bethlehem war eine lebendige Stadt mit vielen Tourist:innen. Seit Beginn der Krise ist die Stadt still und leer. Hotels und Geschäfte sind geschlossen, die Arbeitslosigkeit ist hoch. Es ist für alle schwer, mit der Situation umzugehen.

Was denken Sie über die aktuellen Friedensbemühungen?

Wir hoffen auf einen echten und dauerhaften Frieden. Die Menschen hier verdienen ein normales Leben, Sicherheit und Hoffnung für ihre Zukunft. Besonders für die Kinder und Jugendlichen ist das wichtig.

Viele Familien aus Gaza fragen sich, ob ihr Haus noch steht oder ob Nachbarinnen und Nachbarn überlebt haben. Wie gehen Sie mit den Hoffnungen und Ängsten der Familien um?

Wir helfen mit verschiedenen Interventionen, z. B. mit Geld, Medizin, Hygienekits. Wir melden die Kinder für Bildungsangebote an und stellen Basisbedarf wie Zelte und Winterausstattung zur Verfügung. Die Angst ist groß, besonders nachdem sie das Ausmaß der Zerstörung sehen: Keine Infrastruktur, Schulen und Universitäten sind beschädigt, das medizinische System ist zusammengebrochen. Es braucht eine sektorübergreifende humanitäre Hilfe – internationale und lokale Hilfsorganisationen müssen zusammenarbeiten, um den Wiederaufbau zu schaffen.

Können Sie einen typischen Tagesablauf eines Kindes in Gaza beschreiben und was fehlt ihnen am meisten?

Ich denke oft abends darüber nach. Die Kinder kämpfen täglich ums Überleben, anstatt zu spielen und zu lernen. Viel Zeit verbringen sie damit, auf ein wenig Essen zu warten, das sie ihrer Familie bringen können. Sie sind viel zu früh erwachsen geworden. Die Unsicherheit und das Gefühl, dass sie vielleicht keine Zukunft haben, prägen ihr Leben. Sie fragen sich, warum sie leiden müssen. Sie verdienen es wie alle Kinder auf der Welt, ihre Träume zu verwirklichen und eine sichere Zukunft zu haben.

Wovon träumen die Kinder und Jugendlichen? Was wünschen sie sich?

Als sie vom Waffenstillstand hörten, reagierten viele Kinder mit einer Mischung aus Freude und Erleichterung – sie tanzten, weinten, jubelten. Ihr erster Wunsch ist, Zugang zu Lebensmitteln, Wasser und anderen grundlegenden Dingen zu haben. Danach wollen sie ihre Familien wiedertreffen und sehen, ob alle wohlauf sind. Der dritte Wunsch ist, endlich wieder in die Schule gehen zu können. Viele träumen davon, zu ihren Häusern und Eltern zurückzukehren.

Was brauchen junge Menschen jetzt am meisten?

Sie brauchen Frieden, Schutz, Sicherheit und eine Zukunftsperspektive. Sie benötigen Unterstützung, Zugang zu Bildung, Ausbildung und innovative, nachhaltige Programme, damit sie eines Tages unabhängig werden. Sie müssen spüren, dass es eine Zukunft für sie gibt. Sie brauchen Unterstützung, damit sie ihre Träume erreichen können. Wir müssen in sie investieren, damit sie ihre Traumata überwinden. Wir müssen ihren Grundbedürfnissen gerecht werden und wir müssen sie beschützen. Außerdem brauchen sie Bildung und Ausbildung, um später eine gute Arbeit zu finden. Nachhaltige und innovative Programme sind nötig, damit sie eines Tages selbstständig sein können.

Wie bewahren Sie diese Hoffnung und innere Stärke?

Wir lernen, resilient und innovativ zu sein, unterstützen unsere Teams mit Supervision, bieten Familien-, Gruppen- und Einzelberatungen an. Jede kleine Aktivität und jeder Fortschritt wird wertgeschätzt. Die Gemeinschaft, unser Teamgeist und die gemeinsame Mission geben uns Kraft, weiterzumachen.

Haben Sie einen Wunsch für die Zukunft?

Mein Wunsch ist, dass alle Menschen in Palästina in Frieden, Sicherheit und mit Zukunftsperspektiven leben können – die gleichen Chancen und Ressourcen wie andere Kinder weltweit haben, um ihre Träume zu verwirklichen

Möchten Sie noch etwas hinzufügen?

Es ist unendlich wertvoll für mich und meine Landsleute, für alle Mitarbeiter:innen der SOS-Kinderdörfer und deren Familien, zu sehen, dass es weltweit empathische und solidarische Menschen gibt. Sie tragen unsere Stimmen, Wünsche und Hoffnungen weiter. Wir sind Menschen wie alle anderen und wünschen uns einfach ein Leben in Frieden, Respekt und Sicherheit.

 Wir wollen nichts Außergewöhnliches – nur Frieden, Respekt und Sicherheit.