Hannah kämpft tapfer gegen das Trauma des Krieges

Hannah* (7) hat nur einen Wunsch: ein friedliches Leben, in dem sie sicher spielen kann und sich keine Sorgen um ihre Zukunft machen muss. Denn der Bürgerkrieg in Tigray, im Norden Äthiopiens, hat dem kleinen Mädchen alles genommen: ihr Zuhause, ihre Eltern und alles, was sie kannte. Im SOS-Kinderdorf in Bahir erholt sie sich allmählich von ihren traumatischen Erlebnissen und wird psychologisch betreut. 

"Als Hannah im Dezember 2021 zu meiner Familie (im SOS-Kinderdorf Bahir, Anm. d. R.) kam, konnte sie nicht sprechen. Sie war völlig verstört und aus ihren Augen sprach Angst", berichtet Kassech, ihre Betreuerin. "Ich bin für Hannah da und helfe ihr zur Ruhe zu kommen, wenn sich an die schrecklichen Geschehnisse zurückerinnert.” 

Hannah und ihre Schwester. Foto: Ayalneh Fetene

Kassech fährt fort: "Manchmal wacht Hannah schwer und schnell atmend auf und hat Angst, dass sie sterben wird. Auch laute Geräusche und Menschen, die sie noch nie gesehen hat - meist Männer - machen Hannah große Angst. Sie braucht jeden Tag Zuspruch und die Gewissheit, dass sie sicher ist, um das Trauma verarbeiten zu können."  

Teresa Ngigi, Beraterin für psychische Gesundheit und psychosoziale Betreuung bei den SOS-Kinderdörfern, sagt, Hannah stehe immer noch unter Schock und ihr Schweigen sei ein Bewältigungsmechanismus. Ihre Reaktion ist typisch für Kinder, die in Kriegen und Konflikten aufgewachsen sind. 

"Die Schockstarre ist die einzige Möglichkeit für das Gehirn, das Mädchen zu schützen, denn das Trauma ist zu groß", sagt Teresa. "Ihr kleiner Körper ist nicht in der Lage, all das zu verarbeiten, was sie erlebt hat, also erstarrt er einfach.” 

Der Krieg 

Hannah wurde in Mekelle, der Hauptstadt von Tigray, geboren. Ihre Mutter arbeitete als Hausmädchen und ihr Vater bei der Regierung. Sie hatte eine unbeschwerte, glückliche Kindheit, in der sie spielen, lachen und zur Schule gehen konnte. 

Doch die Nacht des 3. November 2020, in der die Kämpfe zwischen Regierungstruppen und der Tigray People's Liberation Front (TPLF) ausbrachen, verwandelte Hannahs Leben in Schmerz, Verlust und Leid. 

Die Stadt, die ihr vertraut war, hatte sich von einem auf den anderen Tag komplett verändert. Hannah und ihre Familie verbrachten die folgenden Tage und Wochen damit, vor schwerem Geschützfeuer und Granatenbeschuss Schutz zu suchen. In den Wirren des Krieges wurde Hannah von ihrer Mutter getrennt, blieb aber bei ihrem Vater.  

Nach monatelangen Kämpfen machten sich Hannah und ihr Vater mit anderen Familien auf zur Flucht  – in der Hoffnung auf Sicherheit. Doch bewaffnete Männer überfielen sie aus dem Hinterhalt: Ihr Vater wurde in Brand gesetzt und dann erschossen. Das kleine Mädchen musste alles mitansehen. 

Hannah wachte in einem Krankenhaus in Bahir Dar, 600 Kilometer von Mekelle entfernt, auf, wo sie wegen ihrer Verletzungen behandelt wurde. Das Regionalbüro für Frauen, Kinder und soziale Angelegenheiten, das eng mit den SOS-Kinderdörfern in Äthiopien zusammenarbeitet, bat darum, Hannah in einer alternativen Betreuung unterzubringen.  

Düstere Zukunft 

Nun wird Hannah von einem Fachmann psychologisch betreut, um sicherzustellen, dass die erschütternde Erfahrung keine langfristigen Auswirkungen auf ihre Gesundheit hat. Tausende von Kindern in Tigray werden jedoch nicht so viel Glück haben.  

Es ist nicht klar, wie viele Kinder bisher in dem zweijährigen Konflikt verletzt oder getötet wurden, aber Tausende leben jetzt unter harten Bedingungen in informellen Lagern, nachdem sie auf der Flucht vor den Kämpfen von ihren Eltern getrennt wurden.  

Die Psychologin Teresa Ngigi sagt, die Zukunft gehöre diesen Kindern, und es habe schwerwiegende Folgen, wenn sie nicht so früh wie möglich bei der Bewältigung des Kriegstraumas unterstützt würden. 

"Wenn Kinder nicht bei ihrer Heilung unterstützt werden, entwickeln sie ihr eigenes internes Modell der Welt um sie herum."

Teresa Ngigi

"Sie konstruieren ein Bild vom Leben, das auf ihren eigenen Erfahrungen beruht, und versuchen, sich ständig zu schützen. Das bedeutet, dass alle anderen Entwicklungsfähigkeiten auf Eis gelegt werden, weil sie in einem Notfallmodus sind, in dem es ums Überleben geht. Dadurch kann sich das Kind nicht weiterentwickeln oder lernen, hat Angst vor Menschen und fasst schwer Vertrauen."

Sicherheit und Geborgenheit  

Hannah spielt mit ihrer Schwester. Foto: Ayalneh Fetene

Wie Hannah haben die meisten Kinder, die in den SOS-Kinderdörfern aufwachsen, ihre Eltern verloren und sind irgendwann in ihrem Leben traumatischen Situationen ausgesetzt gewesen. 

Die Betreuer:innen unterstützen die Kinder dabei, in dieser neuen Umgebung Beziehungen aufzubauen, die ihnen helfen, sich geliebt und sicher zu fühlen.  

"Als Betreuerin ist es meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sich ein Kind durch meine bedingungslose Fürsorge sicher fühlt", sagt Kassech. Hannah hat drei neue Schwestern und einen Bruder in ihrem Zuhause in den SOS-Kinderdörfern, die ihr sehr ans Herz gewachsen sind. Sie helfen ihr oft, Zahlen und Schreiben zu üben, bevor sie in die Schule zurückkehrt.  

„Ich sehe ein Lächeln und ein Funkeln in Hannahs Augen, wenn sie spielt."

Kassech

Die Betreuerin Kassech fährt fort: „Je sicherer sie sich fühlt, desto mehr wird sie ihre Ängste überwinden und neue Energie finden, um zu lernen und sich gesund zu entwickeln. Obwohl sie immer noch nicht viel sagt, schläft sie heute besser, ohne Alpträume, und freut sich langsam auf die Schule und jeden neuen Tag.“ 

  

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